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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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da
besinnt er sich.
    “Legt den Hirsch auf den
Schlitten!” befiehlt er matt.
    Gunder schielt ungläubig zu ihm
hinauf. “Aber Großherr! Es ist dein Reiseschlitten ... all’ die schönen
Pelze...”
    “Tut, wie ich euch geheißen!”
verlangt Derek barsch. Einen letzten Einwand noch wagt der
Hofalkalde: “Gadar schafft das kurze Stück schon noch, Großherr ... es
wäre doch schade um die Pelze...”
    “Gadar ist tausendmal mehr wert,
jeder seiner Schritte wiegt eine ganze Schlittenlast solcher Häute auf!” knurrt
Derek ärgerlich und weist mit einer herrischen Geste auf das erlegte Tier.
Leise vor sich hin murrend, zieht Gunder ungeschickt an einem Lauf des
Rosenhornhirsches, dann befiehlt er die beiden Knechte mit einem wütenden
Schrei zu sich.
    Gadar schüttelt erregt den Kopf,
und Gunder springt mit einem Laut des Erschreckens zur Seite.
    Beruhigend tätschelt Derek seinem
Reittier den Hals. Sie können es beide nicht vergessen, denkt er. Gunders Haß
rührt wohl aus der Angst her, Gadars dagegen aus einem unbändigen Stolz. Nie
wird er das Bild vergessen: Gunder, mit dem Rücken an der Wand des Stalls
stehend und die siebenschwänzige Dreihornpeitsche umkrampft, und vor ihm Gadar,
mit gesenktem Kopf und die Spitze des Mittelhorns durch das Wams des
Hofalkalden gebohrt.
    Curdin sprach ein hartes Urteil
und ließ den Hofalkalden die Untat mit der Dreihornpeitsche büßen. Gunder hat
gekreischt wie ein Berghollweibchen, die Augen traten ihm aus den Höhlen und
Speichel lief das Kinn hinab. Es war und blieb das erste und einzige Mal, daß
jemand die Peitsche gegen Gadar erhob.
    Als sich die kleine Karawane in
Bewegung setzt, ertönt ein dunkler, alles durchdringender Ton. Derek hebt nicht
einmal den Kopf. Der schaurige Ton klingt aus der Höhe des Augenturmes herab.
Dort bläst der Augenwart mit aller Kraft seiner Lunge in die Tungula, dieses
schneckenförmig gewundene Bronzerohr, dessen Klang mit Donnerstimme Ankunft
oder Abschied, Freund oder Feind, Krieg oder Frieden verkündet...
    Richtig wach wird Derek erst, als
Muhme Aja ihm den Becher mit einem heiß schäumenden Sud an die Lippen setzt.
    “Du mußt Verstand und Sinne
beieinander haben, wenn Rotaugen mit dir verhandeln”, lispelt sie erregt, “sie
sind nicht nur Meister des Krieges, sondern auch Zauberer des Wortes...”
    Mit jedem Schluck strömt Kraft
wie siedende Hitze in seinen Leib, drängt die Müdigkeit aus den Fugen zwischen
den Knochen und die flatternden Traumgewebe aus dem Kopf.
    “... aufrichtig sind sie zwar und
keiner Tücke fähig, aber sie spielen mit Gedanken und Bildern und verhöhnen
dich, wenn du ihr Spiel nicht durchschaust. Immer noch haben sie ein Wort, das
dich verwirrt, wenn du längst glaubst, verstanden zu haben.”
    “Ich weiß”, brummt Derek. “Sie
haben auch Taten, wenn du denkst, sie bezwungen zu haben.”
    In Ajas blassen Augen funkelt es
listig auf. “Du warst es also, mit dem Andorgas einen Becher guten Weines
geleert hat?” fragt sie schelmisch, und bevor Derek antworten kann, setzt sie
hinzu: “Er hat dich sehr gelobt und wird dir von einem Knecht Dereks berichten,
der ob seiner Unverschämtheit die Peitsche, wegen seiner Tapferkeit und
Gewandtheit aber einen Platz an deiner Tafel verdient hat. Solch Lob aus dem
Mund eines Thar ist wie der Segen Ealtheas. Schade nur, daß es nicht wirklich
einer deiner Knechte war – du könntest Männer gebrauchen, die den Kriegern von
Tsalla so viel Achtung abnötigen.”
    “Eirik hätte ihn mittendurch
gehauen!” antwortet Derek schroff.
    Ajas welke Hand streichelt
liebevoll sein Gesicht. Derek läßt es geschehen, mehr noch: Ein weiteres Mal
spürt er, wie sich die tiefe Ruhe der Urahne gewaltig in ihn senkt. Anfangs
hatte er sich dagegen gewehrt, als ihm in den Zeiten, wo der Saft aufschießt in
den jungen Bäumen, bewußt wurde, daß diese greise Frau die tiefste Liebe zu
geben imstande ist, zu der ein Mensch nur fähig sein kann. Er wollte es nicht wahrhaben,
weil er glaubte, diese Tiefe nicht erwidern zu können, weil er sich fürchtete
vor der Macht, die solcherart Liebe über ihn haben könnte. Die Liebe zu Andel
ist doch ganz anders: Sie erfreuen sich aneinander und miteinander, Geben und
Nehmen war immer eins. Nur einmal mußte er Andels Liebe wägen – als Mutter auf
dem Sterbebett zu wissen verlangte, ob die Tochter des Schmiedes ihn gehen
lassen würde, wenn sein Weg ihn in eine andere Richtung führen sollte.
    Er saß bei ihr, bis die

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