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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Glastöne, dem Prasseln des kristallenen Feuers und dem
reinen Klingen der Glocken, Stäbe, Platten und Kugeln aus edelsten Mineralien
mit bebendem Körper lauschen, mitschwingen; und erzittern wird sie bei jedem
Ton, den die Künstler des Rosenquarzetts dem toten Stein entlocken. Jade hat
immer nur krampfhaft auf die Noten gestarrt und darauf gewartet, mit
Triumphgeheul einen winzigen Mißklang verkünden zu können. Anfangs empfand Hyazinth
tiefe Ehrfurcht vor jenen Leuten, die kopfnickend in der Partitur mitlesen, und
deren gequälter oder euphorischer Miene man gut ablesen kann, ob der Vortrag
ihrem Geschmack entspricht. Inzwischen bemitleidet er sie. Sie können meist
fulminant über die Fermate im zweiundsiebzigsten Takt ab Ziffer Ypsilon
streiten – aber wenn man sie nach den Bildern fragt, die sie sahen, nach den
Leidenschaften, die in ihnen brannten, dann lächeln sie geringschätzig und
entgegnen höhnisch, ob man auch gemerkt hätte, daß der Glockenspieler im Rondo
eine Synkope ausgelassen habe…
    “Jeder andere wäre sofort zum
Außendienst irgendwo in der Wüste abgeschoben worden, ohne daß der Erste Exarch
davon erfahren hätte”, sagt Sirrah vorwurfsvoll. “Selbst du, Liebling der
Götter, wärst verschwunden, ohne daß wir dir hätten helfen können…”
    “Aber… was ist denn nur?”
Hyazinth hat sich erschreckt aufgerichtet und springt behende von der
Plattform.
    “Warum hast du nur den Wächter
abgeschaltet?”
    Sirrahs Stimme ist eine
Winzigkeit unfreundlicher geworden.
    “Ach so …”, Hyazinth atmet
erleichtert auf. “Deshalb brauchst du nicht gleich böse zu werden. Der Wächter
– bis gestern wußte ich   nicht mal, daß
es so etwas überhaupt gibt. Was ist denn schon dabei, wenn ich das Ding
abschalte, ist doch meine Gesundheit, oder? Außerdem müßt ihr hier nicht
unbedingt hören, was nachts in meiner Wohnblase geschieht, nicht wahr?”
    Sirrah blickt ihn prüfend an,
durchbohrt ihn   fast mit ihrem Blick,
dann sagt sie sehr weich: “Du benimmst dich wirklich wie ein kleiner Junge,
Zintchen. Überlege doch: Wenn die Meßwerte eines Wächters plötzlich ausbleiben,
wird bei uns Alarm gegeben…” Sie stockt und überlegt, dann sagt sie
entschlossen: “Komm mit, du sollst sehen, was du angerichtet hast.”
    Hyazinth wird es etwas
unbehaglich. Eigentlich hatte er gar nicht weiter nachgedacht, als er mit der
aufgebogenen Haarspange in seinem Ohr herumstocherte, und außerdem hatte
Holunder doch etwas von einem Gegensystem erzählt. Irgendeine vage Ahnung
jedoch rät ihm, davon nichts zu sagen.
    “Habt ihr mich nur deswegen
hergeholt?” fragt er unbekümmert. “Und ich dachte tatsächlich, es hätte mit der
Reinheitsweihe zu tun.” Sirrah schnauft ärgerlich und wiederholt gereizt: “Nur
deswegen! Du weißt ja gar nicht, was du sagst!” Einen Atemzug später setzt sie
etwas sanfter hinzu: “Nun gut, woher solltest du auch…”
    Sie führt ihn durch das
Halbdunkel des Diagnosesektors und durch noch dunklere Gänge und Korridore.
    Hyazinth seufzt leise vor sich
hin, als er hinter ihr her trottet und es nicht fertigbringt, den Blick von den
schmalen und doch sehnige Kraft verratenden Hüften zu lösen, die wie im
Rhythmus eines erotischen Tanzes schwingen.
    War ein Teufelsweib und ist es
immer noch, denkt er und überlegt gleichzeitig, was dieses seltsame Wort, daß
er kürzlich in einem antiken Drama hörte, wohl bedeuten könnte. Klingt aber
irrsinnig gut, Teufelsweib! Vermutlich waren die Frauen vor tausend Jahren
nicht anders, sonst könnte mir dieses Wort nicht so gefallen. Morgen ist Sirrah
auch noch ein Teufelsweib, und übermorgen, sie wird überhaupt nicht älter.
    “Teufelsweib”, flüstert er
ergriffen, ganz seinen großartigen Überlegungen hingegeben. Sirrah dreht sich
kurz um und funkelt ihn an. Ihr Lachen klingt, als habe sie Rost auf den
Stimmbändern.
    Plötzlich wird ihm bewußt, was
sie vor Minuten sagte.
    “Was wird mit Rutila?” fragt er
erschreckt. “Wird man sie bestrafen? Ich war es doch, sie wußte gar nicht, was
ich da tat…” Die kleine Lüge holpert ihm recht eckig über die Zunge, aber
Sirrah scheint es gar nicht zu bemerken.
    “Ihr geschieht nichts. Ich werde
meinem Zintchen doch nicht sein Spielzeug wegnehmen”, sagt sie unwillig. “Aber
wir werden uns mit ihr unterhalten. Sie hätte es früher oder später sowieso
erfahren. Sie ist Nomenklaturkader, will wohl in den Protektordienst und hat
gute Aussichten, ganz oben

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