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Coq Rouge

Coq Rouge

Titel: Coq Rouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sich rasch um. Er vertauschte seinen Anzug gegen Jeans, Polohemd und eine große grüne Freizeitjacke von etwa dem militärischen Schnitt, wie sie alle Männer und die meisten Frauen Israels unter fünfzig Jahren tragen. Carl verließ die Toilette, ging schnell durch eine Küche, in der ein paar erstaunte, kartenspielende Palästinenser saßen, und trat auf eine leere Nebenstraße hinaus. Aus den Lautsprechern auf dem Marktplatz auf der anderen Seite des Viertels waren Kirchenlieder zu hören. Carl ging die Straße hinunter und bog in ein hügeliges Viertel mit kleinen Gäßchen ein; er hatte sich die Topographie Bethlehems sorgfältig eingeprägt und war sicher, den Weg zu finden.
    Er fühlte sich eigenartig aufgekratzt und gutgelaunt. Von jetzt an stand er auf eigenen Füßen. Von diesem Augenblick an war er genau das, was seine gesamte Ausbildung zum Ziel gehabt hatte, und die Gegner waren nicht irgendwelche russischen Tschekisten, sondern der beste Nachrichtendienst der Welt auf eigenem Terrain, und jetzt war er entweder dabei, in irgendeine Falle zu geraten, oder auf dem Weg zum Durchbruch zu wirklich wichtigen Informationen. Für Carl spielte es keine große Rolle, welche der beiden Alternativen auf ihn wartete, denn er war für eine solche Aufgabe da und nicht dazu, als Abteilungsleiter im Maßanzug in einer obskuren Abteilung zu sitzen, in der die Sicherheitsrisiken des Landes gespeichert wurden.
    Dieser Einsatz war endlich Realität. Der erste Probeflug unter realistischen Bedingungen, bei dem alle Systeme auf Herz und Nieren geprüft werden sollten.
    Die Straßen und Gassen in dem Teil des moslemischen Bethlehem, in dem er sich jetzt befand, waren still und fast völlig verlassen; jedenfalls menschenleer genug, um ihm nach kurzer Zeit das sichere Gefühl zu geben, daß niemand ihn verfolgte.
    Er durchquerte den Stadtteil, umrundete den großen Platz von der anderen Richtung her und ging zu den Parkplätzen, auf denen die Touristenbusse, die Sherut-Taxis und die normalen Taxis warteten. Der Touristenstrom würde frühestens in zwanzig Minuten zurückkommen.
    Carl fand schnell den Bus mit dem Schild Ansgar Tours an der Windschutzscheibe. Der Fahrer saß auf einem der Beifahrersitze, las und hörte orientalische Musik. Carl klopfte an und überreichte einen Brief an den Reiseleiter, in dem er erklärte, er setze sich für ein paar Tage ab, werde aber vor der Heimreise von sich hören lassen. Es sei alles in Ordnung (es wäre nicht angenehm gewesen, wenn die Polizei plötzlich nach einem vermißten Pilger hätte fahnden müssen). Dem Fahrer erklärte er mit einer Miene des Ekels, Jesus Christus könne nicht aus Plastik sein und zum Gegenstand von Geschäften werden. Dann entfernte er sich mit entschlossenen Schritten. Der Fahrer zuckte die Achseln, steckte Carls Brief in die Jackentasche und stellte wieder die Musik an.
    Carl nahm ein Taxi nach Jerusalem. Um diese Zeit war die gewundene Bergstraße noch immer nicht stark befahren. Es kamen ihnen zwar ein paar Autos entgegen, aber auf dem Weg in die Stadt waren sie allein. Carl nannte eine Adresse im jüdischen Teil der Stadt.
    Ein paar Blocks von der Stelle, an der er aus dem Taxi ausstieg, sollte es den Touristenbroschüren zufolge ein Cafe geben, das auch nachts geöffnet war. Der Hinweis stimmte. Er kaufte ein paar englische Zeitungen, bestellte sich Milchkaffee, Houmous und etwas Brot und fand eine Ecke, in der er einige Stunden totschlug, bis er seine Zeitungen durchgelesen hatte und es ihm allmählich zu langweilig wurde. Niemand hatte sich sonderlich für ihn interessiert. Die Gäste des Cafes waren hauptsächlich junge Israelis, die in kleinen Gruppen zusammensaßen und über Politik zu diskutieren schienen.
    Wenn ihm jemand einen flüchtigen Blick zuwarf, hatten ihn die englischsprachigen Zeitungen sofort zum Ausländer gestempelt, dem man kaum irgendwelche vernünftigen Standpunkte zu Politik oder Fußball zutraute.
    Als er ging, war es fast schon Morgen, aber immer noch stockdunkel. Carl durchquerte den jüdischen Teil der Stadt, ging den Berg zu der stillen, illuminierten alten Stadtmauer hinunter und verließ die Altstadt durch das Jaffa-Tor. Die Gassen waren regennaß und völlig menschenleer, und sämtliche Geschäfte hatten ihre metallenen Rolläden bis zu den Bürgersteigen heruntergezogen. Die Stadt, die am Tage von Menschen wimmelte, machte jetzt einen völlig verlassenen Eindruck.
    Er brauchte zehn Minuten, um die Stadt zu verlassen und am

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