Coq Rouge
Anwalt.
Appeltoft beherrschte sich mit Mühe, bevor er antwortete.
»Nein«, sagte er mit kontrollierter Ruhe, »natürlich nicht. Aber wir haben Grund zu der Annahme, daß die Munition erst nach der Hausdurchsuchung in den Papierkorb gelegt worden ist. Die Frage ist also, ob du diese Theorie irgendwie erhärten kannst.«
»Und ob«, entgegnete der Terroristen-Sympathisant, »ich habe tatsächlich eine Meinung dazu. Wenn wir mal davon absehen, daß ich weder eine russische Pistole besitze noch überhaupt weiß, wie man mit so einem Ding umgeht, weiß ich genau, was es mit diesem Buch auf sich hat.«
»Ja, und was bitte?« fragte Appeltoft ungeduldig.
»Falls ich auf die Idee kommen sollte, eins meiner Bücher zu zerschneiden, um Pistolenmunition zu verstecken, würde ich dazu todsicher keine bibliophile Rarität nehmen. Dieses Buch ist eine Ausgabe, die zwischen 200 und 250 Pfund Sterling wert ist. Aber eure Paviane haben natürlich nicht gewußt, was sie da zerschneiden. Ich werde dafür Schadensersatz verlangen, darauf kannst du Gift nehmen.«
Appeltoft schwieg eine Weile. Ihm war peinlich bewußt, daß die anderen ihn jetzt intensiv anstarrten und daß das Tonbandgerät des Anwalts immer noch lief.
»Ja«, sagte er schließlich, »das wäre vielleicht gar keine dumme Idee. Die Frage ist nur, von wem du Schadensersatz verlangen willst.«
»Diese Frage ist nicht besonders kompliziert«, schaltete sich der Anwalt ein, »da die Polizei nach der Hausdurchsuchung für die plombierte Wohnung verantwortlich gewesen ist. Aber darf ich fragen, was Sie auf den Gedanken gebracht hat, daß mein Klient für diese Geschichte nicht verantwortlich ist?«
Appeltoft zögerte. Dann zeigte er wortlos auf das Tonbandgerät. Der Anwalt machte ein verblüfftes Gesicht, stellte aber entschlossen das Gerät ab, nahm demonstrativ die Kassette heraus und legte sie mit einem Knall auf die Tischplatte.
»Beschlagnahmeprotokoll 37 B verzeichnet den Inhalt des Papierkorbs zur Zeit der Hausdurchsuchung. Da ist alles festgehalten, aber von ausgeschnittenen Buchseiten ist nicht die Rede. Die sind also nach der Hausdurchsuchung in den Papierkorb gelangt«, knurrte Appeltoft leise und sah dabei zur Seite.
Es war nicht sein Job, den Anwalt zu spielen oder so einen ekelhaften Terroristen-Sympathisanten zu verteidigen, und der Staatsanwalt würde sich über diese Aussage möglicherweise nicht entzückt zeigen. Aber Recht muß Recht bleiben, und Appeltoft verabscheute Leute, die gefälschtes Beweismaterial auslegen. Er war jetzt nämlich völlig überzeugt, daß das Unerhörte tatsächlich geschehen war.
Beim Mitternachtsgottesdienst des Heiligen Abends in Bethlehem drängten sich zehntausend christliche Besucher vor der Geburtskirche. Bethlehem ist eine unansehnliche palästinensische Kleinstadt mit überwiegend christlicher Bevölkerung, und ganz besonders christlich wird natürlich der Bevölkerungsteil, der am Heiligen Abend fünf bis sechs Tonnen Jesus-Kinder mit oder ohne Krippe und Hirten aus Kunststoff verkauft.
Die kleine Gruppe der Firma Ansgar Tours hatte in der Kirche keinen Platz mehr gefunden, aber immerhin überdachte Sitzplätze in einem Straßencafe mit zwei Fernsehgeräten ergattert, wo der Gottesdienst direkt übertragen wurde, während der Reiseleiter Liturgie und Predigt ins Schwedische übersetzte. Zuvor hatte die Gruppe ein sogenanntes Feld der Hirten besucht, wo den Hirten einst die Weihnachtsbotschaft des Herrn verkündet worden sein sollte (Lukas 2,8-12), und tatsächlich hatten sie dort palästinensische Hirten mit Krummstäben und einigen Schafen gefunden, die sich gegen ein angemessenes Entgelt mit den Besuchern im Vordergrund betrachten und fotografieren ließen. Die Luft war kalt und unangenehm, aber es regnete nicht.
Frau Eivor Berggren gehörte zu der kleinen Gruppe, die im Hotel geblieben war, um sich das Ganze lieber im Fernsehen anzusehen, statt sich eine halbe Nacht im Freien um die Ohren zu schlagen; es hatte nämlich eine große Enttäuschung gegeben, als der Reiseleiter erklärte, in der Kirche selbst sei leider kein Platz mehr, da sie hauptsächlich für Zelebritäten der Christenheit reserviert sei.
Als Carl schätzte, daß der Gottesdienst noch etwa eine halbe Stunde dauern würde, erhob er sich ruhig von seinem Stuhl ganz hinten im Cafe und leitete sein Verschwinden mit einem Besuch der Toilette ein. Dort öffnete er seine, wie es vielleicht scheinen mochte, unnötig große Schultertasche und zog
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