Cora - MyLady 329 - Barbour, Anne - Die geheimnisvolle Schöne
Pflichten zurückzukehren.«
»Unsinn!« warf Sir Henry schroff ein. »Sie sind doch eben erst angekommen. Ich genieße Ihre Gesellschaft, junger Mann. Sie haben mir neue Einsichten bei der Entschlüsselung des Tagebuches vermittelt. Ihre Angehörigen werden Sie gewiss noch einige Tage nicht vermissen. Falls sie es tun, warum lassen Sie sie dann nicht herkommen?«
Nach dieser Frage hätte Christopher beinahe die Gabel fallen gelassen. Er hatte sich in seinem kleinen Schlupfloch sicher gefühlt. Aber was war, wenn die Tante zufällig an die seltsame Schenkung dachte, die ihm vor zwei Jahren gemacht worden war? Einen Moment später entspannte er sich. Es war nicht anzunehmen, dass sie einen solchen Geistesblitz haben würde. In jedem Fall hatte Christopher bereits befunden, dass es höchste Zeit war, ihr seinen neu gefassten Entschluss mitzuteilen, nicht zu heiraten, allerdings hätte er die Marchioness lieber in ihrer Löwenhöhle aufgesucht. Der Gedanke, sie könne vor dem Portal von Wildehaven stehen, den Onkel dicht hinter sich, ganz zu schweigen von Corisande und deren Eltern, ließ ihm einen Schauer über den Rücken rieseln.
In diesem Moment hob Mrs. Ferris Schweigen gebietend die Hand.
»Hört!« rief sie aus. »Es regnet schon wieder, und diesmal klingt es, als kämen Fluten vom Himmel.«
In der Tat. Man konnte den Regen auf das Dach und gegen die Fensterscheiben trommeln hören. Der Wind war aufgefrischt und heulte in den Schornsteinen. Durch die zugezogenen Fenstervorhänge konnte man hin und wieder das Zucken von Blitzen erkennen, denen Donnerhall folgte.
Als man das Abendessen beendet und sich in den Salon begeben hatte, war das Unwetter noch stärker geworden.
Sobald die Zeit gekommen war, zu der Lord Cordray sich wie üblich zurückzuziehen pflegte, war das Gewitter noch immer in vollem Gang.
»Nun, Sie werden einfach die Nacht hier verbringen müssen«, sagte Mrs. Ferris schließlich.
»Nein!« riefen er und Miss Tate gleichzeitig aus.
Großer Gott, dachte Gillian. Soll ich mit ihm unter demselben Dach schlafen? Der Gedanke machte sie äußerst unruhig.
Ganz so, als bete Lord Cordray ihre Gedanken nach, verkündete er: »Unsinn, Mrs. Ferris! Ich glaube nicht, dass ich im Regen zerfließen werde.«
Als Sir Henry, seine Schwester und Gillian sich dann eine Weile später vor der Haustür versammelt hatten, um ihn zu verabschieden, und der Onkel die Tür aufmachte, riss ein Windstoß sie ihm aus der Hand und warf sie so heftig gegen die Wand, dass die Fensterscheiben klirrten. Mit dem Wind wehte Regen ins Haus und durchnässte die Versammelten. Sir Henry ergriff die Tür und knallte sie zu.
»Puh!« rief er aus. Er eilte zu einem Fenster und sagte, während er dramatisch ins Freie zeigte: »Meine Schwester hat Recht, Mylord. Heute Nacht können Sie nirgendwohin.«
Christopher blickte in die Richtung, in die Sir Henry zeigte. In der vor dem Haus herrschenden Finsternis war kaum etwas zu erkennen, doch gelegentlich erhellten Blitze die Umrisse der wild im Sturm schwankenden Bäume. Aus dem Raum drang genügend Licht auf die Auffahrt, so dass man nicht mehr die säuberlich gekieste Allee sah, sondern einen rauschenden Bach, der am Haus vorbeiströmte.
Christopher fügte sich in sein Schicksal und nahm die Einladung an.
9. KAPITEL
Am nächsten Morgen strahlte die Sonne, und die Vögel sangen, ganz so, als wolle die Natur sich für ihr schlechtes Benehmen vom vergangenen Abend entschuldigen. Man hatte Christopher davon in Kenntnis gesetzt, dass die Hausbewohner die Angewohnheit hatten, zu einer Zeit, die er nur als unmöglich früh bezeichnen konnte, nämlich um sieben Uhr, gemeinsam zu frühstücken. Als er sich kurz vor der angegebenen Zeit aufmachte, begegnete er unerwartet Miss Tate, die soeben aus ihrem Zimmer kam, das an das seine grenzte. Beinahe hätte er laut aufgeschrieen, begnügte sich jedoch, nachdem er sich mit einer hilflosen Geste an den Kopf gegriffen hatte, mit einem höflichen Nicken und gab der Hoffnung Ausdruck, Miss Tate habe eine gute Nacht verbracht.
Sie nickte ernst und informierte ihn, das sei der Fall gewesen. Dann ging man zusammen ins Esszimmer. Beim Frühstück versicherte Christopher Tante Louisa als Antwort auf die ängstliche Frage, wie er genächtigt hätte, er habe wie ein Toter geschlafen. Mit Miss Tate unterhielt er sich nur wenig, machte lediglich eine Bemerkung über den schönen Tag und bat um das Vergnügen ihrer Gesellschaft bei einem Morgenritt.
So
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