Corbins 02 - Wer ein Laecheln des Gluecks einfaengt...
Gentleman,
Mister Pryor?«
»Selbstverständlich. Sind Sie eine
Dame, Miss Jordan?«
Fancy dachte an die abendliche
Episode im Obstgarten und beschloß, daß es besser war, zu lügen. »Ja«, antwortete
sie.
Phineas T. Pryor stieg vom Wagen,
nahm Fancys Koffer und Hershels Käfig und brachte beides behutsam im hinteren
Teil des Wagens unter. Dann, als sei er fest entschlossen, seiner Begleiterin
zu beweisen, daß er ein Gentleman war, nahm er ihren Arm und half ihr einzusteigen.
Als sie schon ein gutes Stück
gefahren waren, sagte er ruhig: »Bei mir sind Sie sicher, Miss Jordan.«
Das war Fancy längst bewußt. »Ich
weiß.«
»Können Sie wirklich singen, tanzen
und zaubern?« erkundigte er sich dann.
»Können Sie wirklich fliegen und
Krankheiten heilen?« konterte sie. Daß sie Jeff Corbin verloren hatte, saß wie
ein nagender Schmerz in ihrem Herzen, aber sie weigerte sich, an seinen Antrag
oder seine Zärtlichkeiten zu denken. Es hatte keinen Sinn, sie paßte einfach
nicht zu ihm.
»Ich kann fliegen«, bestätigte
Phineas schmunzelnd. »Mit Hilfe meines Ballons.«
»Ballon?« wiederholte Fancy
verblüfft.
»Ja, Madam. Er ist ein Überbleibsel
aus dem Bürgerkrieg, mein Ballon.«
Fancy war sehr erleichtert, daß
Mister Pryor nicht behauptete, aus eigener Kraft fliegen zu können. »Ich würde
ihn gern einmal sehen«, sagte sie interessiert.
»Ein Anblick, den Sie nicht
vergessen werden, Miss Jordan!« entgegnete Phineas stolz.
Eine heiße Träne rollte über Fancys
Wange, und sie wandte sich rasch ab, um sie zu verbergen. Denn es gab andere
Dinge, die sie nie vergessen würde.
Fancy streckte sich gähnend und öffnete
die Augen in der Erwartung, in ihrem kleinen, sauberen Zimmer in Keith Corbins
Haus zu erwachen. Statt dessen befand sie sich mitten auf einem Rummelplatz,
zwischen Zelten, Schaustellern — und direkt unter einem riesigen Ballon, der
am klaren blauen Himmel schwebte.
»Guten Morgen!« sagte Phineas heiter
und reichte Fancy den Arm, um ihr vom Wagen herunterzuhelfen.
Für einen Moment starrte sie ihren
neuen Freund verwundert an, aber dann fiel ihr alles wieder ein — Jeff, ihr
überstürzter Aufbruch aus dem Haus seines Bruders, ihre verlorene Unschuld ...
Vielleicht wäre sie in Tränen ausgebrochen, wenn Phineas nicht gesagt hätte:
»Kommen Sie, wir wollen frühstücken. Frische Forelle. Ich habe sie selbst im
Fluß gefangen.«
Der Geruch gebratener Forelle kam
von einem nahen Lagerfeuer herüber und weckte Fancys Appetit. Während sie aß,
schaute sie sich auf dem Platz um und entdeckte eine Riesin, eine Wahrsagerin
und zwei Elefanten. Aber am interessantesten von allem war Phineas' Heißluftballon,
der — gehalten von starken Tauen und Kabeln — in beträchtlicher Höhe über dem
Boden schwebte.
»Warum sehen Sie so traurig aus?«
fragte Phineas unvermittelt. »Was haben Sie, mein Kind?«
Fancy begann zu zittern und trank
rasch einen Schluck Kaffee. »Ich habe ein bißchen Pech gehabt«, antwortete sie
vorsichtig.
»Er wird schon kommen.«
»Wer?« fragte Fancy verdutzt.
»Der Mann, den Sie verlassen haben«,
erwiderte Phineas zuversichtlich. Dann schlenderte er davon, um mit einem Mann
zu sprechen, der ein Äffchen auf der Schulter trug.
Fancy blieb sitzen, aber nach einer
Weile stand sie auf und begann die Umgebung zu erforschen. In der Nähe des
Rummelplatzes entdeckte sie einen kleinen Bach, und sie holte das Geschirr, um
es dort zu spülen. Nachdem sie auch ihre Hände und ihr Gesicht gewaschen hatte,
pflückte sie etwas Löwenzahn für Hershel und ging zum Lager zurück.
Als Phineas mit einem großen Mann in
einem billigen Anzug und einer Melone zurückkam, hatte sie ihr Haar gebürstet
und aufgesteckt. Ihr graues Wollkleid war jedoch so zerdrückt, daß es nicht
glattzustreichen war.
»Ich habe Mister Stroble von Ihren
Talenten erzählt«, erklärte Phineas. »Er ist der Direktor der großartigen
Schau, die hier veranstaltet wird.«
Fancy lächelte erfreut und dachte,
wie gut es war, daß sie Phineas getroffen hatte. Nun hatte sie vielleicht Gelegenheit,
genug Geld zu verdienen, bis sie eine andere Stelle fand, eine, bei der sie
nicht mehr von Ort zu Ort zu ziehen brauchte. »Ich freue mich, Sie
kennenzulernen, Mister Stroble.«
Stroble verzog nur das Gesicht, und
es war ziemlich offensichtlich, daß er nicht viel von Fancy hielt. Wahrscheinlich
war er ein Geschäftsmann oder ein Bauer, und diese Leute neigten dazu, auf
Schaustellerinnen herabzusehen.
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