Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
gehören schienen, aber es war nicht die Kleidung ihrer Tochter,
die Katherine so verblüffte. Es waren ihre gebückte Haltung und ihr bedrückter
Gesichtsausdruck.
Inzwischen hatte auch Adam seine
Schwester erblickt und stand sehr viel weniger zögernd auf als seine Mutter.
»Laß mich allein mit ihr reden«,
sagte Katherine rasch, und Adam sank seufzend auf seinen Stuhl zurück.
Melissa schaute ihre Mutter zunächst
ohne sichtliches Erkennen an, dann erschien ein überraschter Ausdruck in ihren
müden Augen. »Mama«, sagte sie leise.
Beide Frauen waren blind und taub
für den Verkehr und Lärm auf der Straße und die Menschen, die an ihnen
vorbeidrängten. Katherine nahm Melissas Hände. »Was ist passiert, Kind?«
Melissa schaute sich um wie jemand,
der aus einem tiefen Schlaf erwachte. »Bist du allein, Mama?«
Katherine schüttelte den Kopf. »Adam
ist bei mir. Wir haben uns alle große Sorgen um dich gemacht.«
»Das tut mir leid«, flüsterte
Melissa.
»Willst du nicht mit mir ins Hotel
kommen?« schlug Katherine vor. Melissa nickte stumm.
»Ich kann nicht nach Hause kommen«,
erklärte sie, als sie sich im Zimmer ihrer Mutter auf der Bettkante niederließ.
Katherines Geduld war fast zu Ende.
»Warum bist du so aus der Kirche gestürzt?« fragte sie ihre Tochter. »Du
hättest es uns nur zu sagen brauchen, wenn du nicht mehr heiraten wolltest.«
Melissa wirkte klein und unglücklich
und viel jünger. »Ich war so verletzt ... ich wollte nichts erklären ...«
Katherine wartete schweigend.
Melissa schaute ihre Mutter um
Verständnis flehend an. »Ajax hatte eine Mätresse. Mama. Er hatte sie sogar zu
unserer Hochzeit eingeladen.«
Blinder Zorn erfüllte Katherine,
aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, Melissa zu sagen, daß sie Ajax von Anfang
an nicht gemocht hatte.
Als ihre Tochter ihre Erzählung
schließlich beendet
hatte, beugte Katherine sich
verwundert vor. »Sag mir, Melissa — liebst du den Mann, den du geheiratet
hast?«
»Ja«, erwiderte Melissa ohne Zögern.
»Ich glaube ja.«
»Und was empfindet er für dich?«
Diesmal kam die Antwort nicht so
schnell. »Ich ... ich hoffe, daß Quinn meine Gefühle eines Tages erwidern
wird.«
Katherine litt für ihre Tochter,
aber sie ließ es sich nicht anmerken. »Dann wirst du nicht mit uns nach Hause
kommen?«
»Nein. Es tut mir leid. Mama, aber
ich kann nicht mehr im Schatten meiner Brüder leben. Ich muß mir ein eigenes
Leben aufbauen.«
Katherines Kehle war wie
zugeschnürt, als sie sich zu ihrem jüngsten Kind umdrehte, ihrer einzigen
Tochter. »Ich würde deinen Mann gern kennenlernen«, sagte sie leise.
»Ich werde es einrichten«, versprach
Melissa, während sie sich erhob. Sie küßte Katherine auf beide Wangen. »Danke
für dein Verständnis, Mama.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich es
verstehe, Kleines«, antwortete Katherine brüsk.
Melissa schaute nervös zur Tür. Es
war klar, daß sie jeden Augenblick mit dem Erscheinen ihres Bruders rechnete.
»Sind die Jungen sehr böse auf mich?« erkundigte sie sich zaghaft.
Katherine lächelte. »Sie werden es
schon überleben«, versicherte sie. »Geh jetzt nach Hause und ruh dich aus,
Liebling. Wir sprechen später weiter.«
Melissa küßte ihre Mutter noch
einmal, dann ging sie hinaus.
Katherine setzte sich, bemüht, ihre
Tränen zurückzuhalten. Sie sehnte sich nach dem Trost und der Sicherheit eines
geliebten Partners, aber es war eicht Daniel Corbin, der ihre Gedanken
beschäftigte, sondern Harlan Sommern, ein Rancher, den sie vor zwei Jahren in
Kalifornien kennengelernt hatte.
Sie seufzte schwer. Harlan bedrängte
sie, ihn zu heiraten, und Katherine wäre gern seine Frau geworden, aber
ständig trat irgendeine Krise in der Familie auf, die ihre ganze Aufmerksamkeit
beanspruchte. Deshalb hatte sie den Mann, den sie liebte, ihren Kindern,
gegenüber nicht einmal erwähnt ...
Quinn war in seinem Arbeitszimmer, als
Melissa das Haus betrat. Er trug grobe Hosen, ein Flanellhemd, Arbeitsstiefel
und brauchte dringend eine Rasur.
Melissa blieb überrascht stehen, als
sie ihn sah. Ihr Mann sah aus und roch wie ein alter Bär, aber sein Anblick
hatte wie immer eine erstaunlich belebende Wirkung auf sie.
»Ich bin heute gekündigt worden«,
berichtete sie atemlos.
Ein zurückhaltendes »Oh?« war Quinns
einzige Reaktion, dann wandte er Melissa den Rücken zu und starrte ins Feuer.
Melissa hätte ein bißchen mehr
Mitleid erwartet, aber dann wiederum gab es dringendere Dinge, die
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