Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
werde.«
Acht
Als Melissa auf die Straße trat, wich
ihre eben noch zur Schau gestellte Zuversicht, und sie blieb nachdenklich vor
einem Laden stehen.
»Bildschön, nicht wahr?« erklang
eine helle weibliche Stimme. »Ich glaube, dieser Lavendelton würde Ihnen sehr
gut stehen.«
Melissa drehte sich zu einer
hübschen jungen Frau mit dichtem braunen Haar um, die sie stark an ihre Schwägerin
Tess erinnerte. »Ich fürchte, ich weiß nicht, wovon Sie reden«, gestand Melissa
mit einem nervösen Lachen.
»Das Kleid!« rief die junge Dame
gutmütig und deutete auf das Schaufenster, vor dem Melissa stand.
Es blieb ihr nichts anderes übrig,
als sich das Kleid anzusehen, und als sie es tat, stockte ihr der Atem. Aus
lavendelfarbener Seide, mit tiefem Ausschnitt, weitgeschnittenen Ärmeln und
sehr einfachem Schnitt wirkte es gerade durch seine Schlichtheit sehr elegant
und ausgefallen.
Die Frau trat neben Melissa und
betrachtete das Kleid so bewundernd, als hätte sie es selbst geschneidert.
»Es paßt zu Ihnen«, sagte sie mit
Überzeugung. »Wirklich.«
Melissa war geneigt, ihr
zuzustimmen. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, dieses wunderbare Kleid zu
tragen in Quinns neuem Ballsaal vielleicht ...
Melissas Tagträumerei wurde
unterbrochen durch eine weitere Bemerkung. »Ich bin Dana Morgan — Mister
Krugers Nichte.«
Das erinnerte Melissa endlich an
ihre Manieren, sie drehte sich um und reichte der jungen Dame ihre Hand.
»Melissa Corbin-Rafferty«, erwiderte sie lächelnd.
Danas Augen zwinkerten belustigt.
»Ich gebe zu, daß ich längst wußte, wer Sie sind. Kommen Sie doch herein«, bat
sie. »Bei einem Glas Limonade können wir uns besser unterhalten.«
Melissas Blick ging zu dem Kleid
zurück. Es zu kaufen, wäre der reinste Luxus, aber andererseits konnte sie
nicht in ihrem verschlissenen Baumwollkleid zu einem Ball gehen ...
Und wenn Quinn mich gar nicht
mitnimmt? dachte sie unglücklich. Oder den Abend lieber mit Gillian verbringt?
Während Dana die Limonade holte,
betrachtete Melissa das Kleid. »Meinen Sie, es würde passen?« fragte sie
nachdenklich.
»Probieren Sie es«, schlug Dana vor.
»Einen Moment — ich hole es aus dem Fenster.«
Das Kleid paßte ganz vorzüglich, und
Melissa seufzte entzückt, als sie wieder das vertraute Gefühl von Seide auf
ihrer Haut spürte.
In Gedanken zählte sie, was ihr von
den fünfundsechzig Dollar übriggeblieben war. Wenn sie das Kleid erstand,
mußte sie auch passende Schuhe kaufen, einen Haarschmuck und einen Unterrock —
was mindestens ein Drittel ihrer kleinen Barschaft ausmachte.
Seufzend zog sie das Kleid aus und
ihr altes Baumwollkleid über und kam sich vor wie Cinderella nach dem Ball.
Dana bediente eine Kundin, kam aber so schnell wie möglich zu Melissa.
»Nun? Was halten Sie davon?«
»Es ist sehr teuer«, erwiderte
Melissa, die es eigentlich nicht gewohnt war, sich um Geld sorgen zu müssen.
Dana schien Melissas abgetragenes
Kleid zum ersten Mal zu bemerken. »Sie haben doch einen reichen Mann!«
widersprach sie verwundert. »Außerdem hat er hier ein Konto«, fuhr sie
überredend fort. »Ich schreibe Ihre Ausgaben einfach auf, und damit hat es
sich.«
»Das kommt nicht in Frage«,
entgegnete Melissa entschieden. »Ich bezahle das Kleid selbst.«
Dana machte keine Einwände. »Trinken
Sie ihre Limonade«, sagte sie und legte das Kleid auf die Theke. »Ich habe
bisher noch keine Freundin gefunden, seit ich in dieser Stadt bin, und bin
ganz begierig auf eine nette Unterhaltung.«
Melissa setzte sich zu Dana an einen
kleinen Tisch und überlegte, daß auch ihre Freundinnen fast alle verheiratet
oder auf Reisen waren. Wie Dana fehlte ihr Gesellschaft ihres Alters.
Dana erzählte, daß sie als Lehrerin
nach Port Riley gekommen war, aber die Stellung dann doch nicht bekommen
hatte. Nun war sie gezwungen, bei ihrem Onkel und ihrer Tante zu leben und in
deren Geschäft mitzuarbeiten.
»Was ist aus der Stellung geworden?«
fragte Melissa.
»Sie haben einen Mann eingestellt«,
erwiderte Dana seufzend. »Sie waren der Meinung, er könnte besser mit den
Kindern umgehen.«
Melissa war empört und murmelte
etwas, das Dana veranlaßte, sie betroffen anzusehen und dann zu kichern.
»Und Sie, Melissa?« erkundigte sich
Dana. »Wie sind Sie nach Port Riley gekommen?«
Melissa fühlte sich nicht in der
Verfassung, die ganze komplizierte Geschichte zu erzählen.
»Ich habe Mister Rafferty
geheiratet«, antwortete sie schlicht.
Wieder musterte
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