Corbins 04 - Wer den Weg des Herzens folgt...
Treppe herunter, und
Melissa fiel auf, daß er genauso niedergeschlagen wirkte wie seine Frau.
»Hallo, Kleines«, sagte er, während
er Melissa in die Arme zog und einmal im Kreis herumschwenkte. So hatte er sie
schon immer begrüßt und würde es sicher auch dann noch tun, wenn sie längst
eine alte Dame war.
Das Haus, sonst immer erfüllt von
Lachen und Fröhlichkeit, war seltsam still. »Wo sind die Kinder?« fragte
Melissa, als Fancy sie in den Salon führte.
»Im Bett.«
»Das hoffen wir zumindest«, fügte
Jeff hinzu.
Melissa schaute von einem geliebten
Gesicht ins andere. »Was ist hier los?« fragte sie ganz offen.
Jeff fuhr sich mit der Hand durchs
Haar, während Fancy abrupt das Thema wechselte.
»Melissa ist entführt worden«,
erklärte sie. »Das muß eine ermüdende Erfahrung gewesen sein. Komm, setzt dich,
Liebes. Ich werde Mary bitten, dir eine Tasse Tee zu bringen.«
Melissa setzte sich, doch den Tee
lehnte sie ab. Davon hatte sie während der unerwarteten Zugfahrt mehr als genug
getrunken.
Sie erklärte, wie sie nach Port
Hastings gekommen war, und Jeff runzelte die Stirn und wollte wissen, wieso sie
überhaupt in dem Eisenbahnwaggon gewesen war.
Melissa war verlegen. Keiner in
ihrer Familie wußte etwas von ihrer Schriftstellerinnenkarriere, nur Banner,
Adams Frau, und Melissa zögerte, ihr Geheimnis preiszugeben.
»Nun?« beharrte Jeff.
»Ich schrieb ... Tagebuch«, log
Melissa und gähnte auffallend, was Jeff zu dem Vorschlag veranlaßte, sie nach
Hause zu begleiten.
Schon wenig später waren Jeff und
Melissa auf dem Weg zu dem großen Herrenhaus auf dem Hügel, wo Katherine mit
Adam, Banner und den Kindern lebte.
Am Tor weigerte Jeff sich
entschieden, auch nur einen Schritt weiterzugehen, so sehr Melissa sich auch
bemühte, ihn zu überreden.
Schließlich gab sie ihm einen Kuß
und ging allein auf den Eingang zu.
Katherine kam in die Halle, küßte
ihre Tochter und fragte verwundert?: »Was machst du denn hier?«
Melissa erzählte ihr, was sie Jeff
und Fancy schon berichtet hatte. Allmählich wurde die Geschichte langweilig.
»Quinn wird völlig aus dem Häuschen
sein«, meinte Katherine besorgt, als plötzlich ein großer, kräftiger Mann mit
silbergrauem Haar und gütigen braunen Augen hinter ihr erschien.
Melissa fragte sich, ob er der Mann
sein mochte, den ihre Mutter liebte.
»Ich glaube, wir sind einander noch
nicht vorgestellt worden«, sagte er und küßte Melissas Hand. »Ich bin Harlan Sommers.«
Mister Sommers sah ganz anders aus
als die Rancher, die Melissa kannte: sein Anzug war von tadellosem Schnitt,
seine Stiefel aus feinstem italienischen Leder.
Seine Hände wiesen zwar noch Spuren
harter Arbeit auf, aber es waren keine Schwielen mehr zu spüren.
Katherine nahm Melissas Arm. »Das
ist unsere Melissa«, sagte sie zu Harlan. »Hast du Adam gesehen, Lieber? Ich
finde, er sollte zum Telegrafenamt hinübergehen und jemanden veranlassen, eine
Nachricht nach Port Riley zu schicken.«
Harlan schlug vor, sich persönlich
um die Angelegenheit zu kümmern, da Adam unterwegs zu einer Geburt war.
Melissa nickte dankbar und schrieb rasch Quinns Namen und Adresse auf.
»Er ist wunderbar, Mama!« rief sie,
sobald der elegante Rancher das Haus verlassen hatte.
Katherine lächelte zärtlich. »Ich
weiß.«
»Wann werdet ihr heiraten?«
»Einige von uns haben es nicht so
eilig damit«, entgegnete Katherine trocken. »Wir warten lieber, bis wir einen
Mann gut kennen.«
Melissa nahm seufzend Platz. »Also
wirklich, Mama — wie lange willst du denn noch warten? In Port Riley hast du
gesagt, du würdest Mister Sommers schon zwei Jahre kennen.« Lächelnd hob sie
den Zeigefinger. »Glaub nur nicht, ich hätte vergessen, daß du Papa schon zwei
Wochen nach eurer ersten Begegnung geheiratet hast!«
Katherine schüttelte den Kopf.
»Deine Brüder haben recht. Du bist uns völlig aus der Hand geglitten.«
Melissa lächelte traurig, als sie
an• einen ganz bestimmten ihrer Brüder dachte. »Ich mache mir Sorgen um Jeff
und Fancy«, sagte sie leise. »Das Problem liegt in Fancys neuentdecktem
Interesse für die Frauenbewegung«, entgegnete Katherine seufzend.
»Hast du mit ihnen darüber
gesprochen?«
»Nein — und ich habe es auch nicht
vor«, antwortete Katherine entschieden. Dann musterte sie Melissa zärtlich. »Du
siehst irgendwie ganz anders aus«, stellte sie fest.
Melissa errötete und schlug die
Augen nieder.
Doch Katherine lächelte nur
verständnisvoll. »Du
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