Corum 02 - Die Königin des Chaos
Nein!«
»Nein!« schrie Corum. Er löste das Ruder aus seiner Halterung und begann auf das Wasser zu schlagen. »Hört auf! Hört auf! Hört auf!«
»Corum!« Jhary sprach zum erstenmal, seit sie das Ufer verlassen hatten. Er klammerte sich an die Seite des Kahns, der durch Corums Bewegungen heftig schaukelte. Rhalina blickte verstört auf.
»Corum! Ihr macht alles nur noch schlimmer! Es ist unser Ende, wenn wir in den See fallen!« versuchte Jhary ihn aufzurütteln.
»Hört auf! Hört auf! Hört auf!« keuchte der Vadhagh.
Mit einem Arm immer noch auf seinem eigenen Ruder, zerrte Jha-ry an Corums scharlachrotem Mantel. »Corum! Beherrscht Euch!«
Corum ließ sich auf die Ruderbank zurückfallen und starrte Jhary an, als sei der sein Feind. Dann wurden seine Züge ruhiger. Er steckte das Paddel auf den Zapfen zurück und begann wieder zu rudern. Das Ufer war nun schon nahe.
»Wir müssen an Land«, mahnte Jhary. »Nur so können wir diesen Stimmen entkommen. Bemüht Euch, ihnen zu widerstehen.«
»Aye«, murmelte Corum. »Aye.« Er vermied es, Rhalinas qualvoll verzerrtem Gesicht zu begegnen.
»Sich häutende, schlafende Schlangen, alte Eulen und hungrige Habichte bevölkern meine Erinnerung an Charatatu - «
»Vereint euch mit ihnen, und all die unvorstellbaren Erinnerungen sind euer. Vereint euch mit ihnen, Prinz Corum, Lady Rhalina und Sir Jhary.
Vereint euch mit ihnen! Vereint euch mit ihnen!«
»Wer seid Ihr?« fragte Corum. »Habt Ihr sie zu dem gemacht, was sie sind?«
»Ich bin die Stimme des Sees der Stimmen, das ist alles. Ich bin der wahre Geist des Sees. Ich biete euch Frieden und Einigkeit mit all den anderen Seelen. Hört nicht auf die wenigen unzufriedenen. Sie wären nirgendwo glücklich. Es gibt überall solche - «
»Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein - «
Corum und Jhary legten sich noch mehr in die Riemen, bis das Boot plötzlich über den Ufersand kratzte. Das Wasser begann aufzuwirbeln und eine gewaltige Fontäne geiferte gen Himmel. Sie begann zu wimmern und winseln und kreischen und schreien und brüllen.
»Nein! Ich lasse mich nicht um meine Beute bringen! Ihr gehört mir! Niemand entkommt dem See der Stimmen!«
Die Fontäne formte sich zu einem wilden, wutverzerrtem Gesicht. Auch Arme und Hände bildeten sich und begannen sich nach ihnen auszustrecken.
»Ihr gehört mir! Ihr werdet mit den anderen singen! Ihr müßt ein Teil meines Chores werden!«
Die drei sprangen keuchend aus dem Kahn und hasteten landeinwärts, während die Wassergestalt hinter ihnen wuchs und wuchs, und ihre Stimme immer gewaltiger brüllte.
»Ihr seid mein! Ihr seid mein! Ihr entkommt mir nicht!«
Aber Tausende von schwächeren Stimmen riefen durcheinander:
»Lauft lauft schneller kehrt nie zurück lauft lauft lauft - «
»Verräter! Schweigt!«
Und die Stimmen verstummten. Es herrschte Schweigen, bis die schreckliche Wasserkreatur, rasend vor Wut, erneut zu brüllen begann.
»Nein! Nein! Es ist eure Schuld, daß ich meinen Stimmen zu schweigen befahl meine Stimmen meine Lieblinge! Nun muß ich von vorn beginnen, muß mir einen neuen Chor schaffen. Eure Schuld ist es, daß ich sie befreit habe! Kommt zurück! Kommt sofort zurück!«
Und während sie ihre Füße immer mehr anspornten, wurde die Kreatur noch titanischer und streckte ihre Wasserhände nach ihnen aus.
Plötzlich stieß sie einen wimmernden Schrei aus und begann in den See zurückzutaumeln. Sie war nicht mehr länger imstande, ihre Form aufrechtzuerhalten. Die drei beobachteten, wie sie sich wand, im letzten Grimm drohend die Hände ballte. Dann war sie versunken, und der See lag wieder friedlich wie vorher.
Doch nun hatte er keine Stimmen mehr. Die Seelen waren verstummt. Der Wassergeist selbst hatte ihnen zu schweigen befohlen und dadurch offenbar den Zauber gebrochen, mit dem er sie gebannt hatte.
Corum seufzte und ließ sich ins Gras fallen. »Es ist vorbei. Nun haben all die armen Seelen ihren Frieden gefunden.«
Er strich der kleinen völlig verstörten Katze mitfühlend über das weiche Fell. Wie schrecklich mußte der Anblick des drohenden Wasserwesens gerade für sie gewesen sein.
Als sie sich ausgeruht hatten, bestiegen sie einen Hügel, der Ausblick auf eine Wüste bot. Es war eine braune Wüste. Ein Fluß durchquerte sie, aber er schien nicht aus Wasser zu bestehen. Eine weiße, milchähnliche Flüssigkeit füllte das breite Flußbett und schlängelte sich müde durch die sonnengedörrte
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