Corum 02 - Die Königin des Chaos
sogar noch wirkungsvoller sein. Aber er scheute sich davor, den Augenschild hochzuschieben und mit der ganzen Macht des Auges in jene grauenhafte Unterwelt zu schauen, aus der er schon so manches Mal seine gespenstischen Verbündeten herbeigerufen hatte. Vor allem aber schreckte er davor zurück, jene zu rufen, die auf Befehl des Auges und der Hand als letzte von den Untoten im Kampf erschlagen worden waren, nämlich Königin Ooreses Untertanen, die Vedragh-Reiter, Männer seiner eigenen Rasse. Doch irgend etwas muß-te getan werden, denn sie hatten nicht mehr die Kraft, einen Massenangriff der Vögel abzuwehren. Selbst wenn Kwlls Hand noch ein paar der Monster unschädlich machen konnte, würde es doch Rhalina und Jhary-a-Conel nicht retten. Zögernd tastete er nach dem juwelengeschmückten Augenschild und schob ihn auf die Stirn.
Das fremdartige Facettenauge des toten Gottes Rhynn schaute in eine Welt, die noch schrecklicher war als jene, in der sie sich jetzt befanden.
Wieder sah Corum eine Höhle, in der sich trübe Schatten ziellos hin und her bewegten. Aber im Vordergrund entdeckte er jene Wesen, deren Anblick er kaum zu ertragen vermochte. Ihre toten Augen starrten ihn an, und ihre grauenerregenden Gesichter wirkten leiderfüllt. In ihren Leibern klafften Wunden, aber kein Blut drang aus ihnen, denn sie waren nun Gefangene des Limbus, nicht tot und nicht lebendig. Auch ihre Reittiere hatten sie bei sich Kreaturen mit kräftigen Körpern, Schuppenhaut, gespaltenen Hufen, und Hörnern, die aus ihrer Schnauze wuchsen. Sie waren die Letzten der Vedragh der verlorene Haufen derer, die im Flammenland dahinvegetiert hatten. In jenem Flammenland, das Arioch zu seiner Erbauung schuf. Von Kopf bis zum Fuß steckten sie in roter, enganliegender Kleidung. Kapuzen aus demselben Material hingen ihnen in die Stirn. In ihren Händen hielten sie ihre langen doppelzackigen Lanzen.
Nein, er vermochte ihren Anblick nicht zu ertragen. Er begann mit der Rechten wieder nach dem Augenschild zu tasten, da streckte sich Kwlls Hand aus, langte in den schrecklichen Limbus hinein und winkte die toten Vedragh herbei. Langsam bewegte sich die Gruppe der Untoten vorwärts, folgte dem Ruf. Langsam ritten sie aus jener gespenstischen Unterwelt und standen nun, eine Kompanie des Todes, auf den glatten Hängen des Berges.
Die Vögel schrillten vor Erstaunen und Wut, aber aus irgendeinem Grund suchten sie nicht das Weite. Sie tänzelten von einem Bein auf das andere und streckten den roten Kriegern drohend die Schnäbel entgegen.
Die schwarzen Vögel warteten, bis die toten Vedragh sie fast erreicht hatten, dann flatterten sie mit den Flügeln und hoben sich in den Himmel.
Rhalina starrte vor Entsetzen auf die Untoten. »Bei allen großen alten Göttern, Corum welch neues Unheil ist das?«
»Ein Unheil, doch nicht für uns«, erwiderte Corum grimmig. Und dann befahl er: »Greift an!«
Die roten Arme schleuderten die zweizackigen Speere und durchstießen das Herz jedes der schwarzen Vögel. Ein letztes Flattern und alle der gräßlichen Monster rollten tot den Hang hinab.
Rhalina beobachtete mit geweiteten Augen die untoten Reiter, die von ihren Tieren kletterten und ihre Belohnung einsammelten. Corum wußte nun, was geschah, wenn er Hilfe aus jener Unterwelt herbeirief. Er konnte sich der Hilfe seiner ehemaligen Opfer versichern, indem er ihnen eigene Opfer versprach. Dann lösten diese die ersteren ab, die daraufhin ihren Frieden fanden. Zumindest hoffte er, daß dies der Fall war.
Der Vedragh-Anführer packte zwei der Vögel am Kragen und warf sie sich über die Schulter. Er wandte sein Gesicht, von dem nur noch eine Hälfte vorhanden war, Corum zu und blickte ihn aus augenlosen Höhlen an.
»Es ist vollbracht, Herr«, meldete er mit klangloser Stimme.
»Dann seid Ihr entlassen«, erwiderte Corum halberstickt.
»Doch ehe ich gehe, muß ich Euch eine Botschaft übermitteln, Herr.«
»Eine Botschaft? Von wem?«
»Von jenem, der näher ist, als Ihr ahnt«, klang die tote Stimme leiernd. »Er sagt, Ihr müßt Euch zum See der Stimmen aufmachen. Und wenn Ihr den Mut habt, ihn zu überqueren, findet Ihr vielleicht die Hilfe, die Ihr sucht.«
»Der See der Stimmen. Wo ist er? Und wer ist jener, von dem Ihr sprecht?«
»Der See der Stimmen liegt jenseits des Gebirges. Doch nun muß ich Euch verlassen, Herr. Wir danken Euch für die Belohnung.«
Corum ertrug den Anblick seines Artgenossen einfach nicht länger. Er wandte sich um und
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