Corum 02 - Die Königin des Chaos
Öde.
»Seht!« rief Rhalina aufgeregt. »Ein Reiter!«
Das Pferd erklomm zögernd den Hügel und näherte sich ihnen, aber der Mann auf seinem Rücken schien sie noch nicht entdeckt zu haben. Trotzdem zog Corum sein Schwert, und die anderen taten es ihm gleich. Das Pferd zottelte müde dahin, als befände es sich seit Tagen ohne Rast auf den Beinen.
Sie sahen, daß der Reiter im fleckigen, abgetragenen Lederwams schlafend auf dem Sattel kauerte. Ein Breitschwert hing an einer Schlaufe von seinem rechten Arm, dessen Hand die Zügel umklammerte. Das hagere Gesicht verriet nichts über sein Alter. Seine Nase war krumm, sein Bartund Haupthaar lang und ungekämmt. Er schien ein armer Mann zu sein, und doch hing über seinem Sattelknauf eine Krone. Zwar war sie dick mit Staub bedeckt, aber ohne Zweifel aus Gold und mit kostbaren Edelsteinen besetzt.
»Glaubt ihr, er ist ein Dieb?« fragte Rhalina. »Ob er die Krone wohl gestohlen hat und nun auf der Flucht vor dem rechtmäßigen Besitzer ist?«
Ein paar Fuß vor ihnen hielt das Pferd an und blickte sie mit großen müden Augen an. Dann senkte es den Kopf und begann zu grasen.
Der Reiter öffnete noch verschlafen die Augen und rieb sie. Auch er blickte sie nur an und kümmerte sich nicht weiter um sie. Er murmelte irgend etwas vor sich hin.
»Seid gegrüßt, Sir«, wandte Corum sich an ihn.
Der Hagere blinzelte verwirrt und blickte Corum erneut an. Er tastete hinter sich nach seiner Wasserflasche, dann setzte er sie an seine Lippen, legte den Kopf zurück und nahm einen kaum endenwollenden Schluck.
»Seid gegrüßt, Sir«, versuchte Corum es noch einmal.
Der Reiter nickte. »Aye«, brummte er.
»Woher kommt Ihr?« erkundigte sich Jhary. »Wir sind fremd in diesem Land und wären Euch tief verbunden, wenn Ihr uns sagtet, was jenseits dieser braunen Öde liegt.«
Der Mann seufzte und starrte auf die Wüste und das gewundene Band des weißen Flusses.
»Das ist die Blutebene«, erklärte er, »und der Weiße Fluß manche nenne ihn auch Milchfluß, obwohl es natürlich keine Milch ist - «
»Aber warum Blutebene?« fragte Rhalina.
Der Hagere streckte sich und runzelte die Stirn. »Weil es eine blutgetränkte Ebene ist, Madame. Was Ihr seht, ist nicht brauner Staub, sondern getrocknetes Blut Blut, das vor langer Zeit in irgendeiner vergessenen Schlacht zwischen der Ordnung und dem Chaos vergossen wurde.«
»Und was liegt jenseits?« erkundigte sich Corum.
»Vieles, aber durchaus nichts Erfreuliches. Es gibt nichts Erfreuliches mehr auf dieser Welt, seit das Chaos sie eroberte.«
»Ihr seid nicht auf Seiten des Chaos?«
»Warum sollte ich es sein? Das Chaos hat mir alles genommen. Es hat mich ausgestoßen. Es möchte mich tot sehen, aber ich bleibe nie lang an einem Ort, darum ist es nicht leicht, mich zu finden. Eines Tages jedoch - «. Er ließ den Satz unvollendet.
Jhary stellte seine Freunde und sich selbst vor. »Wir suchen einen Ort«, sagte er. »Die Stadt in der Pyramide.«
Der Reiter lachte. »Auch ich suche die Stadt. Auch ich. Aber ich glaube schon nicht mehr daran, daß es sie wirklich gibt. Ich denke eher, das Chaos hat sich diese Stadt und den angeblichen Widerstand nur ausgedacht, um falsche Hoffnung in seinen Feinden zu wecken und sie so um so mehr zu quälen. Mich nennt man jetzt den König ohne Land. Dereinst war Noreg-Dan mein Name und ich herrschte über ein schönes und friedliches Land. Man schätzte mich als weisen Regenten. Aber dann kam das Chaos, und die ihm Ergebenen machten mein Reich dem Erdboden gleich. Sie mordeten alle meine Untertanen. Nur ich kam mit dem Leben davon und suche seither ohne Rast und ohne Ruh jenen mystischen Ort.«
»So glaubt Ihr also nicht an diese Stadt in der Pyramide?«
»Ich ziehe schon so lange durch diese Welt und habe sie immer noch nicht gefunden.«
»Könnte sie jenseits der Blutebene liegen?« fragte Corum.
»Das könnte sie, aber so unklug bin ich noch nicht, daß ich versuchen würde, sie zu überqueren. Sie reicht bis zum Horizont und könnte gar ohne Ende sein. Und Ihr würdet zu Fuß eine noch geringere Chance haben als ich. Gäbe es Holz in dieser Gegend, könnte man vielleicht ein Floß bauen und sein Glück auf dem Weißen Fluß versuchen, doch es gibt keines.«
»Aber es gibt einen Kahn«, erklärte Jhary.
»Es wäre sicher zu gefährlich, zum See der Stimmen zurückzukehren«, warnte Rhalina.
»Der See der Stimmen!« König Noreg-Dan schüttelte sein ungekämmtes Haupt. »Geht nicht
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