Corum 02 - Die Königin des Chaos
aufrecht im Kahn und hielt sich am Mast fest. König Noreg-Dan hielt sie.
Das Boot schoß plötzlich zur Strommitte zurück, bis ein Wirbel es unerwartet wieder näher ans Ufer schleuderte. Corum taumelte und wäre beinah mitsamt Ruder über Bord gestürzt. Das Tosen des Wasserfalls überdröhnte fast ihre Stimmen. Der Abgrund war nun schon ganz nahe. Es fehlte nicht mehr viel und sie würden in die Tiefe gerissen. Hinter den Schleiern von Schaum sah Corum undeutlich die gegenüberliegende Klippenwand. Sie war weniger als eine Meile entfernt.
Der Kahn scharrte kurz gegen das Ufer.
»Spring, Rhalina!« brüllte Corum.
Sie sprang, und Noreg-Dan folgte ihr. Sie fielen langgestreckt in den Blutstaub.
Jhary sprang als nächster, aber das Boot drehte bereits wieder der Flußmitte zu. Er landete an einer seichten Stelle und watete, Corum etwas zubrüllend, ans Ufer.
Corum entsann sich Noreg-Dans Warnung, daß die Flüssigkeit die Haut zu zersetzen vermöge. Doch was konnte er tun? Er sprang mit festzusammengereßten Lippen aus dem Kahn und versuchte auf das Ufer zuzuschwimmen. Seine schwere Rüstung behinderte ihn sehr. Sie wehrte jedoch andererseits die starke Strömung ab, und es gelang ihm schließlich, mit den Füßen Grund zu erreichen. Sich vor Ekel schüttelnd kletterte er ans Ufer. Die weißen Tropfen der grausigen Flüssigkeit rannen seinen Körper hinab. Keuchend lag er im braunen Staub und blickte dem Boot nach, das sich am Rande des Abgrunds drehte und schließlich in der Tiefe verschwand.
An den Klippen entlang schleppten sie sich vom Fluß weg durch den knöcheltiefen Blutstaub und hielten erst, als das Rauschen des Wasserfalls nur noch schwach zu ihnen drang.
Sie versuchten ihre Lage abzuschätzen. Die Schlucht schien endlos. Sie reichte von Horizont zu Horizont. Ihre Ränder waren gerade und die Seiten glatt. Sie war ohne Zweifel künstlich geschaffen. Es sah aus, als ob ein gigantischer Kanal eine Meile breit, eine Meile tief zwischen den Klippen geplant gewesen war. Sie standen am Rande des Abgrunds und blickten in die Tiefe. Ein Schwindelgefühl drohte Corum zu übermannen. Er tat schnell einen Schritt zurück. Die Klippenwände bestanden aus dem gleichen dunklen Obsidian wie das Gebirge der Vögel, aber sie waren glasglatt. Weit, weit unten wirbelte eine gelbe, nebelartige Substanz, die den Blick auf den Grund verwehrte, wenn es überhaupt einen gab.
Unsagbar klein kamen sich die vier in dieser gewaltigen Endlosigkeit vor. Sie blickten zurück auf die Blutebene. Sie war flach und reichte so weit ihre Augen schauten. Dann versuchten sie Einzelheiten auf der gegenüberliegenden Klippe zu erkennen, aber sie war zu weit entfernt. Ein feiner Schleier bedeckte die Sonne, die immer noch direkt im Mittag stand.
Die winzigen Gestalten wanderten weiter entlang am Klippenrand durch den Blutstaub, fort vom Weißen Fluß.
Schließlich fragte Corum: »Habt Ihr schon einmal von diesem Ort gehört, König Noreg-Dan?«
»Nein.« Der König ohne Land schüttelte den Kopf. »Ich wußte nicht, was jenseits der Blutebene zu finden sein würde, aber das hier hätte ich nicht erwartet. Vielleicht ist es neu.«
»Neu?« Rhalina blickte ihn an. »Was meint Ihr damit?«
»Das Chaos ändert ständig seine Landschaften es hat seinen Spaß mit ihnen. Vielleicht weiß Königin Xiombarg, daß wir uns hier befinden und spielt sie Katz und Maus mit uns?«
Jhary kraulte Schnurri hinter den Ohren, »Das sähe ihr ähnlich. Aber ich glaube, für den Bezwinger ihres Bruders würde sie sich etwas noch viel Unerfreulicheres ausdenken.«
»Vielleicht ist das hier nur der Anfang«, gab Rhalina zu bedenken. »Sie könnte ihre Rache ja allmählich steigern. Schließlich kann sie sich Zeit lassen, soviel sie will.«
»Nein, ich glaube nicht, daß sie von uns weiß«, wehrte Jhary ab. »Ich habe auf vielen Ebenen und in vielen Gestalten gegen das Chaos gekämpft. Es ist nicht nur ungestüm, sondern auch ungeduldig. Sie hätte sich bestimmt bereits gezeigt, wenn sie von Prinz Corums Anwesenheit hier wüßte. Nein, nein, sie ist noch viel zu sehr in ihre Beobachtung der Welt vertieft, aus der wir kamen.« Er lächelte schwach. »Was natürlich nicht heißt, daß wir uns nicht in Gefahr befinden.«
»Vor allem wieder einmal in Gefahr, zu verhungern«, erinnerte ihn Corum. »Dies hier ist der bisher ödeste Ort von allen und es gibt keinen Weg hinunter in den Abgrund, keinen darüber, und keinen zurück.«
»Wir müssen eben
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