Coruum Vol. 1
Karen stießen eine Stunde später schwerbeladen dort zu uns. Sie trugen bereits ihre Neoprenanzüge und hatten die von Raymond bestellte Ausrüstung aus den Institutskellern in ihren Rucksäcken und je einer großen Packtasche dabei. Wir nahmen unsere Anzüge in Empfang und zogen sie an. Karen gab mir noch einen Helm, mit seitlich befestigten, bleistiftdicken LED-Lampen und ein paar dünne, reißfeste Handschuhe.
An der Stelle, die Raymond für uns ausgesucht hatte, war der Zaun knapp drei Meter hoch und oben mit Stacheldraht gesichert. Im Innern des abgesperrten Gebietes waren Bäume und Unterholz gerodet, um das Sichtfeld der Wachen zu vergrößern. In der letzten Woche hatten einige Journalisten und Neugierige versucht, hier einzusteigen, und Captain Johns damit aus seiner Sicht zu dieser Maßnahme aufgefordert.
Uns hinderte das nicht so sehr. Raymond konnte die Wachen von seiner Position im Innern des Ausgrabungsgeländes gut sehen und lotste uns in einem unbewachten Augenblick hinüber. Er legte eine lange Aluminiumleiter von innen an den Zaun, kletterte hinauf, durchtrennte den Stacheldraht und reichte uns eine zweite. Kurz hintereinander kletterten wir nach innen, ich als Letzter. Mit zwei losen Metallklammem verband ich den Draht wieder und zog die äußere Leiter mit herüber.
Wir mussten ein paar hundert Meter durch das Unterholz und über unebenen, mit tückischen Kalkfelsen durchzogenen Boden gehen, bis wir den Hügel mit den Baumaschinen und Kränen im Sternenlicht vor uns aufragen sahen.
Außer dem leisen Schlürfen der Pumpen vor uns und dem Gezirpe der Grillen um uns herum war es still. In einiger Entfernung, auf der anderen Seite des Ballspielplatzes schimmerten noch ein paar Lichter aus den Bürocontainern.
Raymond führte uns von hinten an den Ballspielplatz heran, an der Stelle vorbei, wo die ersten Bohrversuche gescheitert waren.
»Wir sind hier über dem großen unterirdischen Raum, in den wir eigentlich hineinwollen.« Während er flüsterte, zeigte er auf die provisorisch zugeschütteten Bohrlöcher.
»Die westliche Grenze des Raums müsste in etwa zehn Meter neben diesem Bohrloch da vorn verlaufen. Das markiert nach den Fotos ungefähr die Mitte des Raums. Der Gang sollte sich demnach von Westen dort senkrecht auf den Raum zu bewegen.«
Wir blickten in die Dunkelheit und folgten ihm dann. Nach weiteren fünfzig Metern senkte sich das Gelände merklich. Wir schlichen vorsichtig hinunter und erreichten ein Feld voller loser Kalkkiesel. Raymond verlangsamte das Tempo und hielt an.
»Ich habe den Verlauf des Gangs laut Satellitenbildern genau untersucht. An dieser Stelle verläuft er aus Osten kommend und knickt nach Norden ab.« Er zeigte in die Richtung, die seiner Meinung nach Norden war.
»Das Gelände vor uns fällt leicht weiter ab. Seid vorsichtig!«
Wir setzten uns wieder in Bewegung, bis er erneut anhielt und sich hinhockte. Als ich näher kam, erkannte ich das tragbare Georadar, welches Raymond dort deponiert hatte.
»An dieser Stelle hat sich das Gerät zum ersten Mal gemeldet. Drei Meter unter dem Boden musste sich demnach ein größerer Hohlraum befinden. Weil wir hier wenigstens zehn Meter tiefer stehen als an unserem letzten Halt, konnte das Gerät den Gang vorhin aufgrund seiner begrenzten Leistung nicht orten. Das Radar dringt höchstens fünf bis sechs Meter ins Erdreich ein.
Da vorn habe ich schließlich einen Eingang gefunden. Die Decke ist eingestürzt. Der Spalt war einen halben Meter mit Geröll überdeckt – sorgfältig .«
Er betonte das letzte Wort. »Jemand muss den Gang schon einmal vor längerer Zeit entdeckt und geöffnet haben. Vielleicht wurde er auch vorübergehend als Versteck genutzt. Wie auch immer, ich habe dadurch eine Menge Zeit und Arbeit gespart.«
Wir folgten ihm die letzten Meter bis zur Öffnung. Karen schaltete ihre Lampe auf niedrigster Stufe ein und beleuchtete den Boden.
»Wollen wir dem Professor nicht Bescheid sagen?« Sinistras Frage klang vorwurfsvoll in der Stille. »Er hat sich uns gegenüber bis jetzt fair verhalten.«
»Es reicht, wenn wir ihn unterrichten, sobald wir etwas gefunden haben.« Karen beleuchtete konzentriert den Spalt. »Ich denke, er verhält sich fair, weil wir ihm immer einen Schritt voraus sind, und er uns braucht. Daran sollten wir nichts ändern.« Das ließ keinen Raum für Diskussionen. Sinistra schwieg.
Karen sah mich fragend an. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können«, erwiderte ich.
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