Coruum Vol. 1
Entdeckung. Ich kann einiges davon lesen, aber vieles werde ich nachsehen müssen.« Sinistra sah mich mit dunklen, glitzernden Augen an.
»Donavon, ist dir klar, was wir hier gefunden haben?« Karen ließ ihre Hand fasziniert über die Wand gleiten. Es schien, als streichele sie die Hieroglyphen. Ich setzte mich zurück auf den Boden, immer noch die gleichmäßigen, wie gedruckt erscheinenden Zeichen bewundernd.
»Das sind hundertmal mehr Hieroglyphen als in allen bisher gefundenen Kodizes der Mayakultur zusammen. Und in welcher Qualität!« Karen erhob sich und ging nachdenklich an der Wand entlang.
»Was wir daraus erfahren werden, Don! Mein Gott, ich kann das alles nicht glauben! Die größte Ansammlung von Hieroglyphen, die jemals entdeckt wurde.« Sie zog mich hoch und umarmte mich in einem Ansturm der Faszination. Ich hielt sie fest. Ihre Haare kitzelten meine Nase.
Zu früh löste sie sich leicht verlegen. »Vielleicht erfahren wir, was mit der Stadt geschehen ist und warum«, lenkte ich ab. Sinistra warf uns einen undefinierbaren Blick zu. Dann wandte sie sich der rückwärtigen Wand zu.
»Davon gehe ich ganz stark aus, Doktor«, beantwortete sie meine Frage.
Karen und ich sahen gebannt zu ihr hin. »Wie meinst du das, Sinistra, hat du etwas entdeckt?« Karen ging zu ihr und kniete sich neben sie.
»Wie lautete das Datum auf der Stele, Doktor, haben sie es im Kopf?« Ich dachte kurz nach. »Aye! Es war der 30. Juni 560 nach Christus.« Karen nickte. Die Spannung im Raum wuchs. Ich ging neben ihnen in die Hocke, so dass wir jetzt alle vor der Wand kauerten. Sinistras Finger ruhte an einer Stelle, etwa einen Meter über dem Boden.
»Dann ist es genau dieses Datum, Doktor.« Sie sah mich mit großen Augen an. Ich bückte an die Stelle, die ihr Zeigefinger markierte. Die Hieroglyphen entsprachen tatsächlich der Datumsnotation der großen Kalenderrunde, wie sie auf der Stele abgebildet war. Ich schloss kurz die Augen, um meine in verrückten Bahnen von Ruhm und Sensationen kreisenden Gedanken wieder zu sammeln.
»Das heißt«, begann ich, und versuchte meine Vorlesungsstimme zu benutzen, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, »wir haben hier ein offenes, authentisches und vor allem vollständiges Geschichtsbuch einer auf geheimnisvolle Weise untergegangenen Kultur gefunden, das niemand zuvor gesehen hat.« Karen fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, Sinistra wanderte gebückt an der Wand rechts von uns entlang, die Nase dicht hinter dem Zeigefinger, der die Hieroglyphen Doppelspalten rauf und runter verfolgte.
»Wir haben hier das einzige vollständige Geschichtsbuch einer bedeutenden Maya-Metropole vor uns, Don!« Karen lächelte mich an.
»Quetzal-Jaguar, Herrscher von Coruum veranstaltete ein Ballspiel zu Ehren seines Gastes, Anbeter der Unterweltgötter, dem Hohepriester von Tikal.« Sinistras Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Karen ging zu ihr. »Kennen wir diese Namen?«
Sinistra hörte sie nicht. Ihre Lippen formulierten lautlos Worte in Maya, die sie sich dann leise übersetzte. »Ich kann diesen Text lesen! Seht euch diese Darstellung des Königs an. Das ist der Beweis, diese Ruinen gehören nicht zu Tikal, es war eine eigene Stadt.« Ihre Hände streichelten die Hieroglyphen liebevoll. Sie sah uns an, mit leuchtenden Augen, » Coruum , was für ein schöner Name für eine Stadt.«
Wir hockten uns neben sie. Zwischen die endlosen Doppelspalten der Hieroglyphen waren kunstvoll Abbildungen eingefügt. Ihr Finger wies auf das pompöse, äußerst filigrane Relief eines großen Mannes.
»Das ist ein Bild von Quetzal-Jaguar, dem König von Coruum. Er trägt einen prächtigen Kopfschmuck aus langen, dunkelgrünen Federn des Quetzal-Vogels, daher kommt sein Name. Es ist sein Wahrzeichen. Seht nur, wie kunstvoll drapiert sie diesem mit kleinsten Jadeplättchen verzierten Jaguarschädel entspringen. Die Darstellung zeigt sogar einen leichten Wind, der die Federn bewegt.«
»Wie in der Königs-Glyphe auf der Stele«, warf ich ein.
Sinistras Finger strichen liebevoll über das Relief und plötzlich war der Raum von einem lauten Tosen erfüllt. Erschreckt sprangen wir auf und stolperten dabei fast übereinander. Das Tosen hielt an. »Seht!« Karen riss mich an der Schulter herum.
Ich erstarrte. In der Mitte der Raumes schwebte eine Projektion. Sie zeigte das Abbild des Maya, dessen Relief wir soeben an der Wand studiert hatten. Er saß auf einer Steinbank inmitten anderer
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