Coruum Vol. 2
und starrte überrascht auf den Leichnam des Abts.
Er verschwendet unsere Zeit, Liebes. – Eine Ausrede, klangen die Worte der Urmutter in den Gedanken der Benedictine.
Raoula warf Ramone einen verwunderten Blick zu, den diese ungerührt erwiderte.
»Fahre mit dem Ritual fort!«
Die Benedictine nahm ihre alte Position wieder ein und gab dem Primus das Zeichen. Wie die erste Scheibe, folgte auch die mit dem Abt einem unsichtbaren Pfad von der Plattform hinunter und hoch über die Köpfe der Knappen und Ritter.
Raoula hob ihr Zepter. »Sehe!«
Im Jubel der Knappen vaporisierten die Plasmaenergien die Antigrav-Scheibe und den Leichnam des Abtes. Raoula richtete ihren Blick wieder auf den Primus – die letzte Scheibe bewegte sich auf die zentrale Position der Plattform zu.
»Lehensritter Damon von Antaros, beschuldigt der wiederholten und schweren Missachtung von Erlässen der Kirche«, vernahm sie die Stimme des Primus wie durch eine dichte Wand.
Raoula fühlte ein plötzliches Schwindelgefühl in sich aufsteigen – überflutet von Erinnerungen aus einer längst vergangenen Zeit musste sie ihre gesamte Konzentration aufbringen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Geständig.«
Sie kämpfte einen nahezu unbezwingbaren Widerwillen nieder, in das Gesicht des Zweiflers zu sehen, und drehte den Kopf langsam in die Richtung der Antigrav-Scheibe zu ihrer Rechten.
Antaros – das war vor mehr als sechzig Jahren gewesen. Raoula war zur Legatin dieser von den Kirchenrittern eroberten Welt ernannt worden, der erste Titel, der ihr die Reinkarnation erlaubte. Dort hatte sie im neuen Körper einer zwanzigjährigen Novizin den Lehensritter kennen und lieben gelernt. Damon, ein knapp Vierzigjähriger, der den Kreuzzug der Kirche gegen die Planetenregierung gewonnen und Antaros für die Urmutter in Besitz genommen hatte, war von ihrer Schönheit und ihrem Geist geblendet gewesen und Raoula hatte das zweite Mal in ihrem Leben eine Bindung zugelassen. Mehr als zehn Jahre waren sie für sich und die Kirche vermählt gewesen – bis sie von Ramone auf eine neue Position und in einen anderen Sektor berufen wurde. Die folgenden Jahre hatte sie um ihren Gemahl getrauert – heimlich –, danach jegliche Kommunikation abgebrochen und die wertvollen Erinnerungen an die Zeit in einem besonderen Bereich ihres Geistes aufbewahrt.
Der Mann vor Raoula war alt, wenigstens einhundert Jahre. Sein Haar war noch voll, ein einst gepflegter Bart außer Form gewachsen. Seine faltigen, braunen Augen sahen sie an – erkannten sie nicht in ihrem neuen Körper – hofften auf ein baldiges Ende seiner Qualen.
Raoula spürte, wie ihr mentaler Block ins Rutschen geriet.
Antaros, mein Antaros, erkennst du mich denn nicht? , flehte sie innerlich.
»Vollstrecke das Urteil, Liebes«, erklang die seidige Stimme der Urmutter hinter ihr, »lass los von den Erinnerungen du hast noch so viel vor dir!«
Raoulas Hand fasste das Zepter fester – so fest, dass an ihrer kleinen Hand die Knöchel hell hervortraten. Wieder hörte sie Ramones Stimme hinter sich, diesmal an den Primus gerichtet.
»Gewährt Lehensritter Damon die Ehre!«
Raoulas Gedanken rasten. Mutter, bitte! , schrie sie auf, was hat er getan?
Der Primus trat an eine Seite der Antigrav-Scheibe und fuhr mit den Fingern über eine Bedieneinheit.
Er belog die Kirche seit Jahren über die Höhe der Lehenseinkünfte, Kind, er war nachgiebig zu den Schwachen, er betrog uns!
Das schwarze Material gab die Hände des Lehensritters frei.
»Wenn er selbst sein Leben gibt, werden wir seinen Söhnen Gnade gewähren.«
Raoula sah in die entschlossenen Augen des Ritters, erkannte die kleinen Narben an der rechten Wange, die er sich einst im Kampf mit einem zu neugierigen Raubvogel für sie zugezogen hatte, sah neue Wunden, erst wenige Tage alt. Ihr Blick wanderte an seinem Körper hinunter, an dem verdreckten und blutverklebten Zweiflergewand – rot auf rot war nicht sofort zu erkennen. Er hatte bereits gelitten – der Tod würde ihn erlösen – und er hatte Söhne, die es zu retten galt.
Ihre Söhne? Raoula kämpfte mit ihrer Fassung, kämpfte damit, nicht noch die Reste des mentalen Blocks zu verlieren. Sie hatte Damon damals zwei Eizellen als Abschiedsgeschenk zurückgelassen. Hatte er sich für Söhne entschieden? Hatte Ramone ihr das mitteilen wollen? – Ja, das musste es sein! Sie wagte nicht, sich zur Urmutter umzudrehen, um Gewissheit zu erlangen. Sie musste Damon helfen, ihre
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