Coruum Vol. 3
schritt sie zwischen ihrer Paladina und Frere sowie ihrem Primus hindurch, durchquerte das Podest, ohne sie eines Blickes zu würdigen, ging die Stufen zum Altar ihres menschlichen Körpers hinauf und sah auf dessen friedliches Gesicht hinab.
Ich muss dich töten, Liebes, dachte sie sanft, erweckte Ramone aus ihrer Trance.
Augen öffneten sich, rötliches Funkeln betrachtete sie neugierig.
Wie geht es dir? War ich erfolgreich?
Ja, Liebes, wir waren erfolgreich – komm!
Die Urmutter ergriff das Zepter, nahm ihren Körper behutsam auf beide Arme, spürte seine menschliche Wärme, das federleichte Gewicht, die liebevolle Berührung von Ramones Arm, der sich um ihre Schulter legte, wandte sich um und schritt vom Altar hinunter.
Sie sah die Tränen in Freres Augen blitzen, die den Kontakt zur schwachen, menschlichen Ramone suchten, als sie langsam an ihm vorbei dem Sonnenlicht entgegen schritt, durch das geöffnete Wandsegment die Kapelle verlassend.
Der Wind verfing sich in ihren Gewändern, ließ ihre Haare wehen, während sie auf den hohen Felsbogen hinausging, in gedanklicher Einheit mit ihrer Schwester und Mutter, in vollkommener Übereinstimmung in allen Fragen und Wegen, die nur sie allein letztendlich bewältigen konnte.
Ramone blieb stehen. Das Panorama der schneebedeckten Gipfel in der Ferne am Rande wahrnehmend. Nur ein Schritt trennte sie vom Ende des Felsbogens, der hier aus dem Fundament der Kathedrale der Urmutter herauswuchs, und der, mehr als zwei Kilometer tiefer liegenden, schattigen Tal.
»Ich habe Angst«, sagte Ramone, ihre künstlichen Augen blickten sie mit einer Spur von aufkommender Unruhe an.
»Ich weiß, Liebes, du bist ein Mensch. Du musst Gefühle haben und zeigen. Für die Aufgaben, die jetzt vor uns liegen, wäre das hinderlich, deshalb trafen wir diese Entscheidung.«
Die Urmutter tat den letzten Schritt, küsste ihr Ebenbild auf die Wange.
»Ich werde dich nie vergessen, Schwester!«
Ramone löste ihren Arm von der Schulter, sei perfekt, dachte sie zum Abschied, breitete ihre Arme aus, legte den Kopf zurück und – fiel.
*
Ramone stand reglos am Abgrund, der böige Wind zerrte an ihrem in der Sonne strahlenden Gewand und ließ die langen, blonden Haare wehen.
Ihre Schwester antwortete nicht mehr, jetzt war sie vollkommen frei: kein Schlaf, keine Nahrung, keine körperlichen Unreinheiten konnten sie noch von der Umsetzung ihres Vorhabens abhalten.
Ihr Geist war höchst aktiv. Unmerklich überprüfte sie jeden der Anwesenden in der Kapelle der Unsterblichkeit – mit Ausnahme der Benedictine.
Die nächste Aufgabe wartete bereits.
Eine spitze Schnauze berührte ihre rechte Hand.
Willkommen, Mutter.
Sie kniete nieder und strich ihrer Paladina über den Kopf, sah die nadelspitzen Fangzähne unter den Lefzen des Animoiden.
Willkommen, mein Engel. Jetzt bin ich wie du! Lass uns unser Werk beginnen.
Frere erwartete sie unruhig im Innern der Kapelle. Sein Blick flackerte unentschlossen zwischen ihr und seiner Garde auf dem vorderen Segment der Apsis hin und her.
Ramone hatte seine wachsende Verzweiflung bereits aus der Ferne deutlich wahrgenommen – um ihn würde sie sich zuerst kümmern müssen.
Langsam schritt sie auf ihn zu, lächelte ihn an, streckte beide Hände zärtlich zu ihm aus, während sie die geballte gedankliche Kraft ihres neuen Körpers sammelte und in einem einzigen, fokussierten Impuls in die Gehirne der anwesenden Garde von Frere Metcalfe sandte.
Als sie nur Momente später seine Hände ergriff, war kein Offizier der einstigen Schattentruppen im Innern der Kapelle mehr am Leben, ihre furchteinflößenden Panzeranzüge nur noch eine wertlose Ansammlung von sich selbst deaktivierenden, orientierungslosen Hüllen.
Liebes, beginne mit der zweiten Reinkarnation – bitte!
Vergnügt registrierte sie die vollkommene Verwirrung der Benedictine auf ihren Befehl, bemerkte erneut die in Ansätzen vorhandene Barriere im Geist von Raoula.
Mutter?
Frere muss werden wie ich, wenn er an meiner Seite stehen soll, Liebes. Sei aufmerksam, dann wird deine nächste Reinkarnation so wie meine sein.
Der König sah voller Entsetzen auf die Spuren der roten Farbe, welche der Kuss auf Ramones Wange auf dem Mund des Gynoids hinterlassen hatte.
»Bringt den Novizen«, hallte die verstärkte Stimme ihrer Benedictine durch die Kapelle.
Ramone festigte ihren Griff um Freres linken Unterarm.
»Komm mit mir, Lieber, ich habe ein Geschenk für dich.«
Gegen seinen
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