Cosm
störte, wenn die Leute die widersprüchlichsten ›Wahrheiten‹ schlucken mußten, solange nur die positive Wirkung der Frömmigkeit erhalten blieb. Ein solch inhaltsloser Glaube war nicht einmal direkt falsch, weil ihm an der Wahrheit im Grunde nichts lag, sie galt nicht einmal als Ideal. Alicia wurde den Verdacht nicht los, daß die meisten Menschen Gott, den Himmel und alles, was dazugehörte, nur deshalb als unwichtig erachteten, weil sie nicht zugeben konnten, daß sie von der ganzen Geschichte kein Wort glaubten.
»Trotzdem, Dad, die Wissenschaft kann keine Zugeständnisse machen.«
Er hörte sich die altbekannten Gegenargumente höflich an: der Schaden, den die Konservativen anrichteten, sei weitaus größer; heilige Kriege und Unterdrückung entsprängen nur einem krankhaft übertriebenen Sicherheitsbedürfnis. Die Wissenschaft lebe dagegen von der Unsicherheit, von der Idee, mit jedem neuen Experiment eine angesehene Theorie stürzen zu können. »Für mich gehörte zum Erwachsenwerden die Erkenntnis, daß Männer und Frauen eben keine Starrolle im großen, kosmischen Drama spielen. Die Physik …«
»Und diese Erkenntnis hast du jetzt widerlegt«, bemerkte er milde.
»Wieso?«
»Du hast bewiesen, daß eine intelligente Frau ein ganzes Universum erschaffen kann. Damit entwurzelstdu gleich einen ganzen Wald von Glaubensvorstellungen.« Grinsend ließ er die Falle zuschnappen. »Einschließlich deiner eigenen.«
6 Das Schlimmste daran, ein Schwarzer zu sein, war, daß man immer wieder mit der Nase darauf gestoßen wurde. Kein Bericht über den Cosm in den Medien, der nicht irgendwo Alicas rassische Zugehörigkeit erwähnt hätte. Natürlich niemals unverschämt, im Zentrum stand die intelligente Frau, die offenbar ein Universum geschaffen hatte, aber hatten wir denn schon erwähnt, daß sie schwarz ist?
Dabei war das nichts Neues. Was immer man tat, ob man eine einfache Frage stellte oder auf Rollerblades mit Rockmusikbegleitung ins Einkaufszentrum fuhr, der Eindruck war ein anderer. Dank ihrer Größe und ihrer kräftigen Figur war Alicia in der High School eine recht gute Basketballspielerin gewesen, aber das hatte sie in den Augen ihrer Klassenkameraden eher abgewertet. Die Leistungen schwarzer Sportler hatten, von einem gewissen Unterhaltungswert einmal abgesehen, keinerlei Funktion in der modernen Welt, und so wurde Alicia für die anderen zu einer ›Freud’schen Primitiven‹, wie es ein Psychologietext ausdrückte, einem weiteren Beweis dafür, daß Schwarze nur in Dingen gut waren, die im wirklichen Leben nicht zählten. Daß sie in Mathematik und Physik Kursbeste war und in den Abschlußprüfungen Spitzenergebnisse erzielte, traf selbst ihre Freunde wie ein Schock.
Seit ihrem Eintritt in die akademische Welt hatte sie alle Hände voll zu tun, um all die freundlichen Gönner abzuwehren, die sie an der ›Unterdrückungslotterie‹ beteiligen wollten, wie sie es nannte. Und jetzt, da sie eine respektable Leistung vorzuweisen hatte, hing ihrihre Abstammung an wie ein Blutegel. Im Reich der kurzschlußträchtigen Elektronik mit ihren atemberaubenden Geschwindigkeiten trat alles in konzentrierter Form auf, ganz besonders die Berühmtheit. Ständig wurde Alicia zu Vorträgen eingeladen, erfuhr, daß sie für diesen oder jenen Preis nominiert worden sei, und erhielt Beitrittsangebote von wissenschaftlichen Gesellschaften. Für die ganze Palette entwarf sie ihrer Sekretärin eine einzige Antwort.
»Ein Standardbrief?« Die Sekretärin riß schockiert die Augen auf. Alicia grinste nur und ging wieder an ihre Arbeit.
Zum Glück gab es ja noch Max. Es war eine Wohltat, ihm im Labor ihr Herz ausschütten zu können, während sie mit Zak weiter an der Datenerfassung arbeitete. Der Raum füllte sich zusehends mit Papierstapeln, Bandspulen und Speicherplatten.
»Klar«, sagte Max lässig, »die Medien überschwemmen uns mit händeringenden Erzbischöfen, nuschelnden Philosophen und Dampfplauderern aus dem New Age-Business, aber was soll’s?«
Alicia lachte. Er sprach New Age als ein Wort aus, so daß es sich auf ›sewage‹, Kanalisation, reimte.
»Ich … frage mich nur, wie sich das auf lange Sicht auswirken wird.«
»Nicht unser Problem, junge Frau. Wir sind und bleiben Forscher.«
»Wir tun also nichts dagegen, daß die anderen einmarschieren und Schnellkurse zum neuen Glauben abhalten?«
Er gab ihr einen wissenschaftlichen Beitrag zu lesen, den er in einem führenden amerikanischen
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