Cosm
wohin man auch schaut! Ich zerbreche mir seit Wochen den Kopf darüber, wie ich ausdrücken kann, was der Cosm eigentlich ist, und immer wieder komme ich zu der gleichen Grunderkenntnis, daß ich nicht einmal weiß, warum unser eigenes Universum so gut funktioniert.«
Wenn er sich über ein derart abstraktes Problem so erregte, hatte er vermutlich viel Zeit investiert, ohne einer Lösung näherzukommen. Sie streichelte seinen Arm, ohne den Blick von der Kugel und ihren immerwährenden Lichtspielen zu wenden. »Ein Universum könnte also auch existieren, ohne alle diese Bedingungen zu erfüllen, aber dann gäbe es kein denkendes Wesen, das diese Existenz bezeugen könnte.«
»Und deshalb fragt sich der Kosmologe, woher der exakte Entwurf für unser Universum kommt. War vielleicht doch ein großer Planer am Werk? Wir Kosmologen reden viel über Gott, aber wir können nicht erwarten, daß ER unsere Probleme löst. Ich habe versucht, einen allgemeinen Ansatz zu finden, aber …« Er brach frustriert ab.
»Und wie geht es nun mit unserem kleinen Cosm weiter?«
»Schwer zu sagen. Wer will herausfinden, ob das Eis auch da drin schwimmt? Verdammt, wir hatten Glück, überhaupt Sterne zu sehen.«
»Inwiefern Glück?«
»Nun ja, eigentlich nicht direkt …«
Wieder wurde es still.
»Sie verschweigen mir doch etwas«, sagte sie.
»Ich … ich habe herausgefunden, warum Brad sterben mußte.«
»Die Rekombinationsstrahlung …? Warum war sie plötzlich so stark?«
»Aus dem gleichen Grund, aus dem wir jetzt Kugelsternhaufen, Sterne und Staub sehen. Am anderen Ende des Flaschenhalses flog jede Menge Materie herum. Als sie rekombinierte, gab es einen Strahlungsstoß. Das andere Ende des Flaschenhalses erweiterte sich, warum auch immer, und ließ sehr viel mehr Strahlung durch. Und die hat Brad dann abbekommen.«
»Warum?«
»Sie wissen doch, daß Materie und Licht fast gleich stark waren, als unser Universum sich in diesem Stadium befand. Als die Masse die Oberhand gewann, muß sich das andere Ende des Cosm plötzlich vergrößert haben.«
»Sind Sie da sicher?«
Er seufzte. »Meine Gleichungen bestätigen es, wenn ich von einem Universum ausgehe, das etwa so schnell expandiert wie das unsere. In dieser Phase gab es auch in unserem Universum Massenkonzentrationen und dazwischen leere Räume. Das andere Ende des Cosm hat wohl in eine solche Konzentration hineingeragt.«
»In eine Galaxis, die gerade im Entstehen begriffen war?«
»Wahrscheinlich. Warten wir’s ab.«
»Und wenn sich der Cosm nun in einer der Lücken zwischen den Konzentrationen befunden hätte …«
»Dann wäre die Strahlung geringer gewesen. Und Brad wäre vielleicht noch am Leben.«
»Und der Cosm wäre leer und uninteressant. Wir könnten jetzt keine Sterne und Sternhaufen sehen.«
»Richtig.« Das klang müde und bedrückt. »Der Cosm hat gegeben, der Cosm hat genommen.«
5 Um sich auf das Essen mit ihrem Dad seelisch einzustimmen, schaltete Alicia das Radio ein und überlegte, was sie anziehen sollte. Im allgemeinen lohnte es sich, sich für ihn feinzumachen. Außerdem machte es Spaß und steigerte die Vorfreude auf den Abend. Nach dem Gespräch mit Max hatte sie obendrein genügend Stoff zum Nachdenken, und so verbrachte sie eine volle Stunde damit, verschiedene Röcke und Blusen miteinander zu kombinieren, bis das ganze Bett unter Kleidungsstücken verschwand. Wie beim Ramschverkauf, dachte sie, allerdings für Kunden mit erlesenem Geschmack.
Sie öffnete eine Flasche Merlot und hätte sich gern eine Zigarette gegönnt. Eine der angenehmeren Seiten des Älterwerdens war, daß man sich nicht mehr vor den Spiegel stellte und so lange an einem Glimmstengel zog, bis man sich verworfen genug vorkam, oder Sonnenbrillen anprobierte, bis man genau das Modell fand, das der gerade aktuelle Popstar trug. War sie wirklich einmal mit diesen verspiegelten Dingern rumgelaufen? Ein typisches Relikt aus dem Ego-Jahrzehnt, das der Selbstbeobachtung Tür und Tor öffnete.
Was hatten sie ihr sonst noch gebracht, diese Jahre, die sich inzwischen übereinanderstapelten wie ihre Kleider auf dem Bett, weil die perfekte Kombination wieder einmal ein Mythos geblieben war? Zum Beispielden Verzicht auf die Suche nach dem vollkommenen Mann, den homo sensitivus . Gott sei Dank! Und nach den Clinton-Jahren ein Desinteresse an jeder Art von Politik. Das letzte Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts hatte die Menschen, wenn auch meist unfreiwillig, ein Menge
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