Cosm
sich an einem einzigen Punkt in einem ganzen Universum. Sollte tatsächlich einmal ein bewohnbarer Planet vorbeiziehen, dann wäre das ein Wunder.«
»Aber ausgeschlossen ist es nicht?«
»Doch. Das andere Ende ragt irgendwo ins Nichts, der nächste Stern ist einige Lichtjahre weit entfernt.«
Er runzelte die Stirn. »Bist du sicher?«
»Ich würde meinen Ruf als Göttin darauf verwetten.«
Damit war es ihr gelungen, ihn zum Lachen zu bringen. Doch er wurde gleich wieder ernst. Das italienische Restaurant, in dem sie saßen, hatte dank der vielen gekachelten Oberflächen eine ausgezeichnete Akustik. An einem der Tischchen draußen auf dem Broadway wäre es ruhiger gewesen. Immer wieder glitt Scheinwerferlicht über sein flächiges, ebenholzschwarzes Gesicht mit den tiefen Sorgenfalten. »Es ist so, Honey, wir waren nie besonders religiös …«
»Jedenfalls nicht mehr, seit ich die Grundschule hinter mir habe.«
Baptistische Fundamentalisten waren im anderen Zweig der Familie stark vertreten, bei den Leuten, über die ihr Vater einmal gesagt hatte: »Wenn sich ein Verwandter ein neues Haus kauft, dann geht man hin und hilft, die Räder abzumachen.« Aber in diesem Punkt hatte er nachgegeben, sie konnte sich schwach erinnern, an Ostern im gestärkten, weißen Kleidchen und mit einem Blumenstrauß am Handgelenk zur Kirche gegangen zu sein.
»Nicht mehr, seit deine Mutter …« Sein Gesicht verschloß sich, vermutlich befürchtete er, damit das Gespräch wieder einmal auf das heikle Thema seiner Wiederverheiratung gelenkt zu haben. Er nahm einen Schluck Rotwein und versuchte es noch einmal. »Weißt du, ich brauche nur meinen Kollegen zuzuhören, um ein Gespür für diese Dinge zu bekommen.«
»Journalisten? Und theologische Offenbarungen?« fragte sie feixend.
»Das wohl nicht, aber sie wissen, wie die Leute denken. Und dein Cosm macht sie nervös.«
Alicia nahm einen tiefen Schluck von ihrem Wodka Collins; Dad paßte auf, wieviel sie trank; also nicht übertreiben. »Nervosität? Ja, die spüre ich auch. Sogar an der Universität.«
»Die Menschen wollen eben keinen fernen Gott, derdas Universum in Gang gesetzt und sich dann anderen Dingen zugewandt hat. Sie wollen einen Gott, der sich für sie interessiert. Aber ihr Wissenschaftler geht alle genau in die entgegengesetzte Richtung, bei euren Visionen überläuft es einen eiskalt.«
»Hmm. Die Unpersönlichkeit der Naturgesetze.«
»Honey, die Religion – egal, ob Sekte oder Amtskirche – ist nicht einfach erfunden worden, weil jemand sich abstrakte Gedanken über den Ursprung aller Dinge gemacht hat. Hier geht es um Herzenssehnsüchte, Mädchen, von Menschen, die sich wünschten, ein Gott möge Anteil an uns nehmen und weiterhin in unser Schicksal eingreifen.«
Seine Worte brachten Saiten zum Schwingen, die sie bisher tief in ihrem Innern verborgen hatte. Aber dazu waren Väter schließlich da: um das Unaussprechliche dann auszusprechen, wenn es nötig war.
Alicia hielt sich oft genug in Gottes freier Natur auf, um zu wissen, daß viele ihrer Schönheiten nicht mit Evolution allein zu erklären waren. Tag für Tag sah sie von ihrem Fenster aus, wie sich Eichelhäher und Falken, Pelikane und Grasmücken in der Luft tummelten und war entzückt von der Anmut ihrer Bewegungen. Glücklich, wer glauben konnte, diese Pracht sei nur zur Freude des Menschen geschaffen. Aber der Gott der Schönheit hatte auch Grausamkeit, Häßlichkeit und Tod zu verantworten. Und dieser Gott hatte sich wahrhaftig alle Mühe gegeben, seine Anteilnahme an den Menschen, falls vorhanden, nur ja für sich zu behalten.
»Schon richtig«, sagte sie. »Wissenschaftler reden kaum jemals über Religion. Den meisten ist sie so gleichgültig, daß sie sich nicht einmal als praktizierende Atheisten bezeichnen würden.«
»Und aus den Kommentaren einiger deiner Kollegen geht ziemlich klar hervor, daß sie die Religion für ein nur mäßig interessantes Stammesritual halten.«
»Hmm, etwas, das im Schrank liegt und nur zu Hochzeiten und Begräbnissen hervorgeholt wird«, sagte sie und mußte dabei an Brads Familie denken.
Und doch hatte diese peinliche Feier auch Trost gespendet, sie erinnerte sich noch gut daran. Und das war mehr, als man von religiös liberalen Gruppierungen erwarten konnte, einer besonders merkwürdigen Richtung, deren Anhänger nach eigenen Aussagen nur deshalb glaubten, weil sie im Glauben Glück oder zumindest Zufriedenheit fanden. Wobei sich niemand daran
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