Cosm
gelehrt. Wenn Leute wie sie nun die Wahl hatten zwischen existentieller Verzweiflung und religiöser Verzückung, dann wählten sie Marihuana.
Alicia beschäftigte sich schon seit vielen Jahren mit Physik, aber das Kläffen des Zeitgeists hatte sie immer aufmerksam verfolgt. Als sie in den Zwanzigern war, hatten Frauen keine Affären, sondern ›sexuelle Freundschaften‹, und sie verliebten sich nicht, sondern bauten eine Beziehung auf. Sie hatte gelernt, ihren ziemlich brüchigen, emotionalen Unterbau hinter dem glatten Panzer der Objektivität zu verstecken. An ungeraden Tagen war die Liebe eine Krankheit, die nach Heilung schrie, an geraden Tagen sehnte man sie herbei.
»Viel rumgekommen, einiges getrieben«, faßte sie gutgelaunt zusammen. »Oder mit mir treiben lassen.«
Jetzt hatte sie sich endlich einen Namen gemacht. Herrin des Universums! »Schön«, sagte sie laut zu sich selbst, »was stört dich eigentlich daran?«
Ein Teil ihrer Nervosität legte sich, als sie hektisch aufräumte und dabei nach ihrer Perlenbrosche suchte, die zu der blauen Bluse, für die sie sich entschieden hatte, am besten paßte und natürlich nicht da war, wo sie ihrer Erinnerung nach zu sein hatte.
Dann tanzte sie singend durch die Wohnung und trank dabei ein zweites Glas Merlot; dieses Zeug schmeckte wirklich nicht schlecht. Sie suchte im Radio auf Mittelwelle eine ›soul station‹ , und als der Oldie ›Annie Had a Baby‹ kam, summte sie mit, schwenkte die Hüften und fühlte sich ganz als Schwarzamerikanerin.
Während sie in ihrem Schlafzimmer Ordnung machte (damit Dad nicht wieder die Stirn runzelte), ging dasProgramm zu Ende, und der Sender brachte eine Kollektion beschissener Rap-Songs. Sie schaltete ab. Höchste Zeit für das Treffen mit Dad …
Es wurde, genau wie sie befürchtet hatte, ein anstrengender Abend. Dad hatte mit Bernie Rossgesprochen und quoll über von guten Ratschlägen. Zunächst ging es nur um Rechtsfragen: die Klage von Brads Eltern, in der vollständigkeitshalber etwa die Hälfte des UCI-Personals benannt war; eine Klage von Brookhaven; eine zweite Klage in gleicher Sache vom Energieministerium; eine Klage wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses von irgendeiner Kirche, die behauptete, der Cosm verstoße gegen …
»Staat und Kirche?« fragte Alicia ungläubig.
»Der Vorwurf lautet, du hättest es der Regierung der Vereinigten Staaten ermöglicht, sich göttliche Fähigkeiten anzumaßen. Darum brauchst du dich nicht weiter zu kümmern, das ist einfach verrückt.«
»Und alles andere kann Bernie auch ohne mich regeln?«
»Im Moment schon. Aber das wird nicht so bleiben, Mädchen.« Dad legte seine große Hand auf die ihre.
»Ich will mit dieser … Sache keine einzige Sekunde vergeuden.«
»Du kannst ruhig ›Scheiße‹ sagen, auch wenn ich dabei bin.«
»Kein Scheiß?« fragte sie staunend.
Wenn er lächelte, zeigten sich in seinen Augenwinkeln viele kleine Fältchen. »Du bist schließlich erwachsen.«
»Und der Beweis dafür ist, daß ich mir ausgewachsenen Ärger eingehandelt habe?«
»Nein, sondern, daß du dich davon nicht unterkriegen läßt.«
Langes Schweigen. Sie nahm Zuflucht zu ihrem Wodka Collins. »Hmm. Was kostet mich der Spaß?«
»Keine Sorge. Das hat noch Zeit.«
»Ich habe Bernie nicht einmal einen Vorschuß gegeben.«
»Okay, das habe ich übernommen. Für dich ist er im Moment zu teuer.«
»Wie soll ich ihn mir jemals leisten können?«
»Wenn du erst deinen Bestseller geschrieben hast, schwimmst du in Tausend-Dollar-Noten.«
»Bestseller?«
»Steckst du mit dem Kopf schon so tief im Sand, daß du gar nicht mehr spürst, wie dir der Hurrikan die Schwanzfedern zaust?«
»Ich kann mich um den ganzen Trubel im Moment nicht kümmern.«
»Ich weiß. Wie lange wird es noch dauern?«
Sie erzählte ihm, daß sich der Cosm immer schneller entwickle, daß er durchsichtig geworden sei, und wie es eventuell weitergehen könne.
»Dann haben alle diese religiösen Spinner, die ihre Meinung über den Cosm unbedingt zu Papier bringen müssen, ich meine die Briefe, die ich für dich beantwortet habe …«
»Dafür habe ich mich noch gar nicht bedankt.«
»Dann haben sie ja nicht einmal unrecht.«
»Wieso denn?«
Er breitete, wie immer, wenn sie zu schroff wurde, beschwichtigend die Arme aus. »Das sind wirklich bedeutende Fragen. Wenn in diesem Cosm Leben entsteht, intelligentes Leben …«
»Das werden wir nie erfahren. Das andere Ende des Cosm-Halses befindet
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