Cosm
wurde. Alicia hatte zwar Bedenken, ein Objekt befördern zu lassen, von dem sie so wenig wußte, wischte sie aber entschlossen beiseite. Sie hatte ihren Einsatz gemacht, jetzt mußte sie auch spielen. Wahrscheinlich kam sowieso nichts dabei heraus.
Zum Abschied ging sie mit Brad, Zak und anderenBRAHMS-Mitarbeitern in eins der üblichen, gesichtslosen italienischen Restaurants auf Long Island essen. Sie alle würden in den nächsten Monaten mit unermüdlichen Datenanalysen zu beweisen suchen, daß sich im Fokus der beiden Uranströme etwas ereignet hatte, was die Mühe lohnte. Die Truppe war müde, aber zugleich sehr von sich überzeugt, schließlich verließ man die ausgetretenen Pfade, um einer neuen Idee zu folgen.
Vom Brookhaven-Personal waren die meisten der Ansicht, der Quark-Gluon-Nebel würde sich, wenn überhaupt, bei einem der vielen Versuche mit Goldkernen einstellen, mit denen man so geduldig die Statistiken füllte. Uran war eine reizvolle Idee, gewiß, aber doch weit hergeholt. Sehr weit hergeholt.
Alicia glaubte die ganze Zeit über, eine Zeitbombe ticken zu hören. Sie hatte zunächst ganz instinktiv gehandelt, doch nun hatten die Ängste sie eingeholt. Sie ertappte sich dabei, wie sie nervös an ihrem Gürtel herumnestelte und sogar an den Fingernägeln kaute – Untugenden, die sie längst überwunden geglaubt hatte.
Jemand schlug vor, nach Manhattan zu fahren, ein wenig durch die Straßen zu laufen und den Duft der Großen Weiten Welt zu schnuppern, aber Alicia entschuldigte sich, sie sei müde und müsse morgen schon sehr früh vom JFK abfliegen.
Das stimmte zwar, aber es war nicht die ganze Wahrheit, denn unter der bleiernen Müdigkeit war sie hellwach und fieberte vor Ungeduld.
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»Wie oft habe ich es dir nun schon gesagt: wenn du das Unmögliche eliminiert hast, dann muß das, was übrig bleibt, und sei es noch so unwahrscheinlich, die Wahrheit sein.«
in: SHERLOCK HOLMES The Sign of Four (1888)
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1 Die 1965 gegründete University of California in Irvine war der jüngste Campus im ganzen Verbund, aber ihre Unschuld hatte sie längst verloren. Ursprünglich hatte man den Campus um eine kreisrunde, bewaldete Grünanlage herum angelegt und hohe, hellbraune Gebäude mit gefälliger Linienführung errichtet, deren Fenster an halbgeschlossene Lider erinnerten. Zwanzig Jahre später hatte sich dann ein Biologiegebäude dazwischengedrängt, das seine Wasserrohre und Stromleitungen voller Stolz offen zur Schau stellte und genauso fehl am Platz war wie ein Pickel auf der Nase einer Prinzessin. Damals hatte es noch so ausgesehen, als würde die Biotechnik alle anderen Forschungszweige, die sich rings um das Universitätsgelände etablierten, in den Schatten stellen. Seither hatten die Wissenschaft und ihr Domizil jedoch gleichermaßen an Ansehen verloren.
Inzwischen war das Rund des ursprünglichen Campus längst zu klein geworden, und die asphaltierten Parkplätze und die vielen, nach Art des späten zwanzigsten Jahrhunderts bunt zusammengewürfelten Gebäude fühlten sich sichtlich beengt. Neben den neuen, gedrungenen Klötzen mit den nachträglich angeklebten, futuristischen Stahlkonstruktionen wirkten die maurischen Türme wie alte Tanten, die aus luftiger Höhe würdevoll auf das Treiben einer ausgelassenen Kinderschar herabsahen.
Die fünf Gebäude der Physikalischen Fakultät strebten vom Rand der zentralen Grünanlage fächerförmig nach außen. Wo nur ein Plätzchen frei war, hatte man Baracken aus hellem Holz dazwischengezwängt, ›Provisorien‹, die mit zunehmender Verwahrlosung mehr und mehr zur festen Einrichtung wurden. Studenten saßen kaffeetrinkend auf harten Betonbänken und lernten. Niemand schaute auf, als ein Lastwagen auf den Personalparkplatz fuhr und vorsichtig um einen widerrechtlich abgestellten Wagen herumrangierte.
Behutsam manövrierte Alicia Butterworth den UC-Irvine-eigenen Laster rückwärts in die Toreinfahrt des Physikalischen Forschungstrakts. Zak sprang aus dem Führerhaus und wies sie ein. Es war 7 Uhr morgens, noch lag erst ein Hauch der feuchten Frühlingswärme in der Luft, und auf dem Forschungsgelände war kein Mensch zu sehen. Alicia konnte das nur recht sein.
Mit dem Deckenkran hoben sie die Kiste von der Lastwagenpritsche. In den Jahren in Berkeley und am RHIC hatte Alicia einige Erfahrung im Umgang mit schweren Lasten gesammelt. Als der große Würfel auf dem blanken Betonboden stand, beförderten sie ihn mit einem
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