Cosm
mir bekannt.« Er zeigte auf das Weißbrett, auf dem die Namen aller abwesenden Professoren mit Reisezielen und Abwesenheitsdaten verzeichnet waren. Vier Lehrkräfte trieben sich in der Weltgeschichte herum, in Kobe, Genf, Cambridge und WashingtonD.C. – nicht mehr als üblich. »Sie kommen wohl eben aus Ihrer 3-B-Vorlesung?«
»Klar.« Worauf wollte er hinaus?
»Die Vorsitzende des Ausschusses für Gleichberechtigungsfragen …«
»Nicht schon wieder.« Sie seufzte.
»… hat mich angerufen und, nun, man wäre dort sehr an einem Gespräch mit Ihnen interessiert …«
»Ich habe im Moment …«
»… wenigstens zu den Ausschußsitzungen …«
»… überhaupt keine Zeit.«
»… Sie haben sich immerhin bereiterklärt, als es darum ging, eine Angehörige einer Minderheit für diesen Posten …«
»Man hat mich gefragt, und ich habe ja gesagt, aber das war vergangenes Jahr.«
»Sie wußten aber, daß es sich um eine zweijährige Amtszeit handelt.«
»Und der Vizekanzler sagte, man hätte so gut wie keine Arbeit damit.«
Ein spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht. »Stimmt das denn nicht? Ich meine, Sie brauchen doch nur mit abzustimmen.«
»Aber zuerst muß man sich die Anträge anhören. Und ich habe nicht geahnt, wie unerträglich das ist.«
Martin Onell zog die Augenbrauen hoch und warf ihr einen Blick zu, der sie beschämen sollte, ihn aber nur ziemlich verdattert aussehen ließ. »Sie haben zugesagt.«
»Ich werde sie anrufen.« Damit war sie aus dem Schneider, und er hatte das Problem vom Tisch. Mehr hatte er im Grunde gar nicht gewollt.
»Gut, gut.« Ein hörbarer Seufzer. »Äh … wie ist eigentlich Ihr Versuch gelaufen?«
»Enttäuschend. Wir mußten schon in der Anfangsphase abbrechen.«
»Tatsächlich? Ich hatte den RHIC immer für besonders zuverlässig gehalten.«
»Das ist er auch, aber … nun, ich muß erst noch herausfinden, was tatsächlich passiert ist. Die Ringröhre konnte das Vakuum nicht halten.«
»Das ist sonderbar.« Onell war Festkörperphysiker, aber vielseitig interessiert.
»Ich werde in meinem Labor Platz schaffen, um mir den Schaden anzusehen. Mein Detektor ist ziemlich hinüber.«
»Ein Jammer.« Er schüttelte den Kopf.
»Aber das bleibt unter uns. Brookhaven will es so.«
»Hmm.« Ein wissendes Lächeln verzog seine Lippen. »Nicht unverständlich. Die großen Teilchenbeschleuniger stehen derzeit unter scharfer Beobachtung.«
»Ich erwarte keine größeren Schwierigkeiten«, sagte sie, um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen. Onell war eine schreckliche Klatschbase und ein alter Gegner der Elementarteilchenphysik. Wahrscheinlich hatte er auch in Brookhaven Freunde sitzen. Sie winkte ihm kurz zu, drehte sich um und trat den Rückzug durch den Korridor an.
Im Magazin war eine Lieferung für sie eingegangen. Also hinunter in das mit Maschendraht abgeteilte Büro im Untergeschoß, um die Papiere zu unterschreiben. Laut Frachtbrief handelte es sich um die Schaltelemente für das Core-Element , die sie per Fax von Brookhaven bestellt hatte. Wunderbar. Die konnte sie gut gebrauchen, um ihren Diplomanden nach der schlechten Nachricht wieder Mut zu machen.
Zurück in den dritten Stock, immer zwei Stufen auf einmal, normalerweise ihre einzige sportliche Betätigung. Das Schloß an ihrer Bürotür klemmte und ließ sich nur mit viel Gefühl öffnen. Auf ihrem Schreibtisch türmten sich Berge von Papier, unter anderem ein Stapel Telefonnotizen, aber die konnten warten. Claire Yu hatte die Ergebnisse der letzten Physik 3-B-Kolloquien hinterlegt. Seufzend überflog Alicia die Kurven, die das Benotungsprogramm ausgedruckt hatte. Die Leistungen waren nicht besser als üblich, sogar ein wenig schlechter, bewegten sich aber noch innerhalb des zulässigen Spielraums.
Dabei hatte sie sich mit diesem Kurs wirklich Mühe gegeben, hatte eigene Fragestunden abgehalten, ihre Vorlesung mit ausführlichen Beispielen ergänzt und so weiter. Ob etwa die drei Wochen Brookhaven die Meinung ihrer Studenten über sie negativ beeinflußt hatten? Ob sie sich vernachlässigt fühlten, gar daran dachten, einem Prof, der zu lange wegblieb, untreu zu werden? Eigentlich sollten sie dankbar sein; Claire Yu war die bessere Pädagogin. Physik 3-B war eine Vorlesung für Nebenfachstudenten, also vor allem für Biologen. Und davon strebten mit ziemlicher Sicherheit neunzig Prozent ein Medizinstudium an und betrachteten die 3-B-Professoren als Hürden auf dem Weg zu einem geachteten Dasein
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