Cosm
hellhörig, wenn ihre Knochenarbeit ohne Anerkennung blieb, während ein risikofreudigerer Kollege die Lorbeeren erntete.
Zak war anders. Sie konnte sich mit ihrem Etat nur einen Postdoc leisten, und er war ihr aufgefallen, weil er nicht nur viele der typischen Züge aufwies, sondern auch überdurchschnittlich loyal war. Wenn ein kleines, auswärtiges Team am RHIC Erfolg haben wollte, mußte es funktionieren wie eine gut geölte Maschine, mußte am laufenden Band Ideen produzieren und bereit sein, sich mehr ins Zeug zu legen als die Konkurrenz.
Sie verließ das Labor und machte sich auf den Weg in ihr Büro. Auf dem Platz vor dem Physikgebäude drängten sich Studenten in teuren Pseudofreizeitklamotten: Jogginganzüge, Legwarmers, Windbreaker aus glänzendem Stoff, weiße Turnschuhe mit dicken Sohlen, Trainingsjacken mit aufgedruckten Designernamen, Pullunder und Baseballmützen, die neuerdings wieder mit dem Schirm nach vorne getragen wurden. Meistens Sportkleidung, denn man schwitzte nicht mehr über Rechenaufgaben, sondern lieber im Fitnessraum. Warum waren dieser Generation eigentlich Begriffe wie Trapezmuskel , Pectoralis major oder Trizeps geläufiger als die Namen der äußeren Planeten, obgleich kaum noch jemand zu Fuß ging, sondern alle sich in den Aufzügen und auf den Rolltreppen des Campus drängten und die Parkplätze mit komfortablen Autos blockierten?
Am besten – oder zumindest am teuersten – kleideten sich die asiatischen Studenten. An den Wänden oder den Kiosken auf dem Campus sah man inzwischen oft handgeschriebene Annoncen in fremden, meist asiatischen Sprachen hängen. Besonders wenn Zimmer oder Plätze in einer Wohngemeinschaft angeboten wurden, wandten sich die Inserenten gezielt an ihre Landsleute. Die UCI wurde bisweilen schon boshaft als ›Universität von Indochina‹ bezeichnet, und ›Kulturelle Vielfalt‹ bedeutete für viele nichts anderes als Balkanisierung.
Dabei wurden die Gräben zwischen den Studenten ganz bewußt offengehalten. Die Universitätsverwaltung verfolgte nämlich eine Strategie des ›Teile-und-Herrsche‹. Jede Studentenfraktion wurde zum Almosenempfänger degradiert und in Abhängigkeit von der Gunst jener ständig wachsenden Gruppe leitender Angestellter gehalten, die sich selbst als ›Management‹, das Lehrpersonal als abhängige Arbeitnehmer und die Studenten als unfreiwillige Kunden betrachtete. Dieser Führungsstil war freilich nur ein Abklatsch der amerikanischen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts.
Als Alicia den vierten Stock erreichte, saßen die Angehörigen des Fachbereichs gerade beim Nachmittagstee. Eigentlich hatte sie sich nur ein paar Kekse und eine Tasse Tee holen wollen, um dann weiterzuarbeiten, aber einige von den Teilchenphysikern wollten Genaueres über die Zerstörung des Core-Element wissen. Sie erzählte ihnen die offizielle Version der Geschichte und nützte die Gelegenheit, um die Reaktionen auszutesten. Bald hatte sie eine ganze Schar von Zuhörern um sich versammelt. Alle bekundeten ihr Mitgefühl und stellten interessierte Fragen. Ein ungelöstes Problem war schließlich immer ein gefundenes Fressen. Postdocs und Professoren beteiligten sich gleichermaßen lebhaft am Gespräch, während sich die Diplomanden zurückhielten.
Die Elementarteilchenphysiker betrachteten sich als die Elite der Physik, in der allein die Leistung zählte und jeder eine faire Chance erhielt. Nach außen hinwurde diese Einstellung dadurch dokumentiert, daß alle Büros gleich waren, daß man selbst Vorgesetzte mit Vornamen anredete und einen rigoros saloppen Kleidungsstil pflegte. Alicia hatte einmal einen Professor darauf angesprochen, aber der hatte nur die Achseln gezuckt und in einem derart abfälligen Ton »Aber klar doch« gesagt, als sei es eines Physikers unwürdig, sich mit gesellschaftlichen oder psychologischen Triebkräften zu beschäftigen. Über solche Dinge wurde nie ein Wort verloren, aber nur, wer die Feinstrukturen des Umfelds früh erfaßte, konnte irgendwann auch darin heimisch werden.
Jonas Schultz, die graue Eminenz der Experimentalphysiker, zog sie beiseite und fragte: »Wie wirkt sich das auf Ihre weiteren Pläne aus?«
»Ich werde mich bemühen, den nächsten Versuchstermin in sechs Monaten einzuhalten.«
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Er war ein gutaussehender Mann mit grauen Schläfen, höflich wie ein New Yorker, ein Relikt aus weniger hemdsärmeligen Zeiten. Einen Moment lang war sie sogar in
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