Cosm
Versuchung, ihm von dem sonderbaren Ding in ihrem Labor zu erzählen, aber die Vorsicht war stärker.
»Ich denke, mein Team kommt schon zurecht, trotzdem vielen Dank für das Angebot. Könnte sein, daß ich mir einige Geräte ausborgen muß.«
»Sie brauchen mir nur Bescheid zu sagen«, versicherte er ihr herzlich. »Wir wollen doch nicht, daß Ihnen die Geschichte bei der Festanstellung in die Quere kommt.« So heftig die Konkurrenz zwischen den Teilchenphysikern auch sein mochte, sie wurde immer wieder aufgewogen durch ihre starke Solidarität untereinander.
Festanstellung: der Heilige Gral in einer Zeit, in der die Gelder für wissenschaftliche Forschungen ständig knapper wurden. Wer heutzutage noch Teilchenphysiker werden wollte, mußte sich auf ein Dasein gefaßtmachen, das von Ängsten bestimmt war. Jeder Student befürchtete insgeheim, neben den Geistesriesen von ehedem nicht bestehen zu können. Jeder Diplomand befürchtete, seine Zeit mit Experimenten zu vergeuden, die keine befriedigenden Ergebnisse brachten. Postdoktoranden mußten mehrere Jahre in die Zukunft schauen, um zu erraten, welche Fragestellung erfolgversprechend genug war, um sich langfristig damit zu beschäftigen. Trotz dieses rauhen Klimas war es ihr (zu ihrer eigenen Überraschung), gelungen, an einer Universität unterzukommen. Stanford oder Harvard hatten natürlich nicht einmal die Nase gerümpft, also hatte sie sich an drei anderen, nicht ganz so prestigeträchtigen Universitäten vorgestellt. Nur von der UCI hatte sie ein Angebot erhalten.
Seither waren die Ängste eher noch gewachsen. Die nächste Mauer, die es zu erklimmen galt, war die Festanstellung; wer an dieser Hürde scheiterte, mußte die Universität verlassen und konnte allenfalls noch versuchen, ein Plätzchen in einem der Nationallabors zu finden. Und auch nach der Festanstellung stand einem noch ein langer, steiniger Weg bevor, ein ständiger Kampf um Forschungsgelder und um Versuchstermine an den großen Teilchenbeschleunigern, und ein ständiges Werben um Beziehungen, Beziehungen und noch einmal Beziehungen. Daß sie bisher jeden Schritt auf diesem Weg genossen hatte, verstand sich von selbst. Wer daran keine Freude hatte, der taugte nicht für dieses Spiel und hatte längst als Kapitalmarktanalytiker oder im Maschinenbau Karriere gemacht.
Ohne auf das Klopfen an ihrer Tür zu achten, begann sie, den Bericht für Hugh Alcott in den Computer zu hämmern. Seine Fragen erschienen ihr unendlich weit entfernt, der Zwischenfall in Brookhaven verblaßte bereits neben dem Rätsel in ihrem Labor.
Als sie etwa die Hälfte des Berichts geschafft hatte, stand sie auf, holte sich im vierten Stock noch eine TasseTee vom Wagen, kam wieder zurück, setzte sich vor den Computer und starrte auf den Bildschirm. Im Laufe ihrer Doktorarbeit hatte sie gelernt, bei Schreibblockaden eine Pause einzulegen. Also rief sie das Menü des Informationsservice der UCI-Bibliothek auf, kurvte eine Stunde lang im Labyrinth der Verweise umher und tauchte schließlich triumphierend mit leeren Händen wieder auf: in der gesamten Fachliteratur gab es keinen Hinweis auf ein exzentrisches Objekt, das dem ihren auch nur entfernt ähnlich gewesen wäre.
Ja, dachte sie, ihrem Objekt. Warum sollte sie sich nicht als Besitzerin fühlen? Sie stellte ihren Bericht fertig, schickte ihn per E-Mail an Alcott und kehrte ins Labor zurück.
5 Sie wäre gern zu Hause geblieben, um vielleicht vor dem Fernseher wegzuschlaffen, aber das ließ Jill nicht zu.
»Du hast versprochen , daß du mit mir zu dieser Party gehst.« Jill ließ sich auf Alicias Couch fallen und warf ihr winziges Muschelhandtäschchen in eine Ecke. »Ich bleibe so lange grollend hier sitzen, bis du dich fertig machst.«
»Aber ich muß noch arbeiten, und ich bin müde und …«
»Wenn du müde bist, kannst du nicht arbeiten. Mannomann, euch Intellektuellen muß man aber auch alles erklären.«
»Das ist doch bloß wieder so eine Fleischbeschau für Singles«, hielt Alicia ihr vor.
»Deine Ausdrucksweise läßt zu wünschen übrig. Wir wollen nichts anderes, als sympathische Menschen kennenlernen.« Jill deutete mit ihrem braunlackierten Fingernagel auf die Tür zum Schlafzimmer. »Bedecke deinen Leib.«
Nachdem Alicia eine volle Viertelstunde lang nach einer Kombination gesucht hatte, die keinerlei ›Erklärung abgab‹, griff Jill ein, und entschied zugunsten eines blauen Kleides. Als Alicia jammerte: »Aber Blau ist wirklich nicht
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