Cosm
herausdringt. Ultraviolettes Licht kommt aus irgendeinem Grund durch. Wenn wir die Kugel mit sichtbarem Licht bestrahlen, wird es zu neunundneunzig Prozent reflektiert, erinnern Sie sich? Und sie ist nicht aus Metall.« Sie verschränkte die Arme.
»Das Licht wird auch gebrochen – verdammt, das Ding tut einfach alles!« Zak war in heller Aufregung. »Natürlich bekommen wir nur einen winzigen Bruchteil der ultravioletten Strahlung im Innern, sonst würde uns der Ball das ganze Labor verbrennen. Aber das ergibt keinen Sinn!«
»Die Kugel wiegt soviel wie ein Mensch«, bemerkte sie. »Wie ein dicker Mensch.«
»Was folgt daraus?«
»Ich weiß es nicht. Es ist nur eine weitere Tatsache.« Alicia mußte über sich selbst lachen und ließ sich auf einen Laborstuhl fallen. »Normalerweise kommt man weiter, wenn man sich eine Liste macht.«
»Diesmal nicht«, stellte Zak lakonisch fest.
»Ein Objekt, das so heiß ist …«
»Ja?«
»Müßte glühen, Löcher brennen …« Sie fuchtelte ziellos mit den Händen in der Luft herum.
»Irgendwie tut es das ja auch. Es brennt ein Loch in die Luft, meine ich. Dabei entsteht das Ozon.«
»Ein Loch. Richtig, das hatte ich vergessen.« Sie stand auf und schrieb an die Tafel:
BRECHUNG PROPORTIONAL ZUR TIEFE DES EINDRINGENS
Dann erklärte sie Zak, was sie tags zuvor beobachtet hatte. »Allem Anschein nach dringt ein Lichtstrahl, den man auf die Kugel richtet, bei leichter Veränderung des Winkels in verschiedene Schichten ein und wird um so stärker gebrochen, je weiter er in die Tiefe geht.«
»Hm«, machte Zak.
»Genau.« Sie blieben noch eine Weile sitzen, betrachteten ihre Liste und waren sich einig, daß sie kaum etwas damit anfangen konnten. Sie hatte einmal gehört, der geborene Forscher habe eine hohe Ambiguitätstoleranz, d. h., er schreite unbeirrt voran, auch wenn er nicht wisse, wohin der Weg führe. Eine merkwürdige Ansicht, dachte sie, denn gerade das, das Rätsel, war für sie nicht belastend, sondern verlockend.
Die Rätsel der Elementarteilchenphysik ließen sich meist mit Sätzen ausdrücken wie: Warum funktioniert das verdammte Ding bloß nicht? oder Wo finden wir in diesem Durcheinander irgendein System? aber dahinter lauerten oft fundamentale Fragen. War dieses Objekt ein solchesRätsel? Sie spürte ein erwartungsvolles Kribbeln, und ihr Herz schlug schneller.
Wer Zweifel hat, präzisiere seine Daten. »Wir sollten die Ungenauigkeiten bei der Schwarzkörpermessung ausschalten«, sagte sie und schlug sich auf die Schenkel, um sich selbst zur Ordnung zu rufen.
»Dazu brauchen wir ein dunkleres Labor.« Zak sah sich im Saal um. »Hier bekommen wir zuviel Falschlicht.«
»Einverstanden. Aber das bedeutet wahrscheinlich Nachtarbeit.«
»Das läßt sich einrichten.«
»Gut. Wir legen noch die nächsten Schritte fest, dann muß ich mich um andere Dinge kümmern. Ich habe mir überlegt, daß wir vielleicht die Zeitschriften durchgehen sollten, ob eine solche Anomalie schon einmal irgendwo aufgetreten ist.«
Zak zog skeptisch die Mundwinkel nach unten. »Das bezweifle ich.«
»Ich auch. Aber vergewissern sollten wir uns doch. Ich starte einen schnellen Suchlauf.«
Postdocs aus dem Bereich der Teilchenphysik lasen nur selten wissenschaftliche Zeitschriften, und wenn, dann höchstens, um herauszufinden, mit wem man reden mußte, um an die wirklich wichtigen Informationen zu kommen. In Seminaren verhielten sie sich meistens still, um nicht in den Verdacht zu geraten, womöglich nicht auf dem laufenden zu sein. Wenn sie sich auf einem Gebiet wirklich zu Hause fühlten, provozierten sie gern mit bohrenden Fragen. Entscheidend war, daß man die eigene Arbeit überzeugend darstellte, und oft schadete es nicht, wenn man ein wenig übertrieb. So gut wie jeder Postdoc der Experimentalphysik wußte von irgendeinem Gerät oder einem Programm zu berichten, das er unter Aufbietung aller Kräfte gerade noch rechtzeitig fertiggestellt hatte, um die Fortsetzung eines Experiments zu ermöglichen. Doch diese Geschichtenhatten stets einen wehmütigen Unterton, denn Können allein genügte nicht, um einen Elemetarteilchenphysiker beruflich weiterzubringen; darüber hinaus wurden geistige Unabhängigkeit, wissenschaftliche Denkweise und ein Gespür für elegante Lösungen verlangt. Ausdrücklich sagte einem das natürlich niemand, aber es wurde in dieser Subkultur als selbstverständlich vorausgesetzt. Einige Postdocs begriffen das nie; aber manche wurden doch
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