Cosm
Onell und dem stellvertretenden Vizekanzler Ms. Lattimer auf dem Programm, bei dem sich beide so benahmen, als spielten sie ihre eigenen Titel.
Und die ganze Zeit über bemühte sich Alicia verzweifelt, das Geschehen zu rekonstruieren. Immer wieder starrte sie die bunten Graphen auf dem Flachbildschirm ihres Computers an. Ausgerechnet in der Stunde, die sie in Ms. Lattimers Büro verbracht hatte, war die Intensität des von der Kugel abgestrahlten Lichts rapide angestiegen.
Das war Brad sicher nicht entgangen. Die Lichtemission bewegte sich zwar im hochfrequenten Bereich und war daher nicht sichtbar, aber es gab auch eine schwache Strahlung im sichtbaren hellen Blau. Brad hatte die Kugel beobachtet, und als sie plötzlich aufleuchtete, war er neugierig geworden und näher herangegangen …
Dann war der Blitz gekommen. Den Spektren war zu entnehmen, daß die Emissionen bis in den Röntgenbereich hinaufreichten. Die Röntgenstrahlen wären allein schon tödlich gewesen, aber es war auch genügend Ultraviolettstrahlung vorhanden.
Dann fielen die Emissionen ab. Sie ließ die Zeitabhängigkeit graphisch darstellen.
Exponentiell. Die Frequenz der Wasserstoffrekombinationslinie wurde geringer, und die Temperatur des Gesamtspektrums sank.
Sie zog die Lichtschutzhaube beiseite und trat in den engen, schwarzen Raum. Die Leute vom Sicherheitsteam hatten die Haube um einige Schichten verstärkt, um sicherzugehen, daß weitere, starke Strahlungsstöße von feuersicherem Material gedämpft würden. Es war bereits die Rede davon, das ganze Objekt mit Wänden aus Bleibeton zu umgeben.
Im Dunkeln war die Kugel unsichtbar. Die Lichtintensität fiel stetig ab und war bereits außerhalb des sichtbaren Bereichs gewesen, als sie, etwa dreißig Minuten nach dem Blitz, ins Labor kam und Brad fand. Sie steckte den Kopf in den U-Magneten und schnupperte. Auch kein Ozon mehr.
Sie ließ sich Max’ Ideen durch den Kopf gehen. – Jede Menge Unbekannte, aber keine gesicherten Antworten.
Am nächsten Tag kam Max herunter, um ihr bei Brads Begräbnis zur Seite zu stehen. Auch Jill hatte ihre Begleitung angeboten, aber Alicia wollte sich keine zusätzlichen Komplikationen aufhalsen. Der Tag würde schwierig genug werden.
Brad Douglas stammte aus einer Kleinstadt, die bei der Osterweiterung von Riverside geschluckt worden war und seither nur noch als Autobahnausfahrt existierte. Seine Eltern sahen müde aus und hüllten sich in Schweigen. Alicia fand keinen Zugang zu ihnen. Sie begegneten ihr mit steifer Höflichkeit und stellten keinerlei Fragen. Seltsamerweise übertrafen sie damit ihre schlimmsten Befürchtungen.
Die Trauerfeier fand fünf Straßen vom Freeway 55 entfernt im Bestattungsinstitut Gremlich statt. Alicia fand das zunächst merkwürdig, doch als sie Mrs. Douglas später beim Empfang in der Küche half, bemerkte sie den Kalender an der Wand. »Ach ja«, sagte Mrs. Douglas, »so einen schicken sie uns jedes Jahr.«
Der Kalender kam vom Bestattungsinstitut; letzten Endes hatten sich die vielen Werbegeschenke für Mr. Gremlich doch ausgezahlt.
Und er verstand sein Geschäft. Die Trauergemeinde wurde direkt am Sarg vorbeigeführt, damit jedermann Gremlichs Kunstfertigkeit aus nächster Nähe bewundern konnte. Alicia durchlebte einen Moment des Grauens, als sie sich ausmalte, wie Brad nach der ›operativen Wiederherstellung‹ ausgesehen hätte, von der der Arzt im Krankenhaus gesprochen hatte. Doch als sie, ohne es eigentlich zu wollen, wie aus großer Höhe auf ihn hinabschaute, sah sie nur die Mammutausgabe einer jener Puppen aus gedörrten Äpfeln …
Mit einem Mal kam ihr zu Bewußtsein, daß sie schon viel zu lange hier gestanden hatte. Der blaue Sarg erinnerte sie plötzlich absurderweise an einen Mercury Baujahr 1950. Sie wandte sich ab.
Dann hielt ein Geistlicher eine – wie es ihr vorkam – endlos lange Rede. Er begann mit einer Lobeshymne auf den Toten und ging dann auf den tieferen Sinn, die weitreichenden Folgen des Geschehens ein. Die moralische Tragweite, die Orientierungshilfen für das eigene Leben, die Lehren, die daraus zu ziehen seien. Besonders schlimm fand Alicia seine Manie, alle paar Sätze einmal zu lächeln. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Der Tod war offenbar eine der wenigen, biologischen Funktionen, die von solchen Religionen nicht mißbilligt wurden.
Sie versuchte, sich den lebenden Brad in Erinnerung zu rufen, aber sie sah immer nur den ehrgeizigen Studenten vor sich. So sehr
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