Cosm
»Nach der Standardrechnung müßte sich ein unendlich kleines Schwarzes Loch bilden, das seine Energie mittels Hawking-Strahlung in etwa 10 -23 Sekunden abgeben würde. Das entspräche einer Explosion im Megatonnenbereich.«
»Wusch! Mann, ihr Theoretiker kennt wirklich nichts Schöneres, als mit Unmöglichkeiten um euch zu werfen.«
Alicia mußte lächeln. Selbst wenn Gott jemals auf diese Weise ein Universum erschaffen hätte, wäre es laut Max’ Theorie in 10 -37 Sekunden auf Nimmerwiedersehen den Abfluß hinuntergespült worden. Eine Zeile aus einem alten Woody Allen-Film fiel ihr ein, wonach Gott, falls es IHN denn überhaupt gab, zumindest nicht böse war. Schlimmstenfalls konnte man IHM Unfähigkeit vorwerfen.
Max ließ sich nicht beirren. »Es gibt allerdings ein Aber! Das Ergebnis berücksichtigt nicht die Möglichkeit sogenannter ›miracle struts‹ oder Wunderstreben, jenerRegionen mit negativer Energiedichte, von denen ich Ihnen schon einmal erzählt habe. Wenn sie sich an der richtigen Stelle befinden, verhindern sie die Entstehung des Schwarzen Loches. Statt dessen bekommen wir eine neue Art von Wurmloch, das von der Spannung in diesen Streben aus negativer Energiedichte offengehalten wird.«
»Warum nicht gleich von Engeln?«
Er nickte seufzend. »Ich weiß, das klingt wie heiße Luft. Aber wir haben hier ein reales Objekt , das in einem Quark-Gluon-Plasma entstanden ist. Bisher konnte niemand beweisen , daß eine Zone negativer Energiedichte in der richtigen Größe – so groß wie die Kugel da drüben – unmöglich ist.«
»Wie konnten die Urankollisionen im RHIC dazu führen?« fragte sie.
»Tunneleffekt«, antwortete Max.
Sie blinzelte überrascht. Ein Quantensystem war imstande, von einem Zustand in eine völlig andere Konfiguration zu springen, auch wenn das dem klassischen Energieerhaltungssatz widersprach. Im Studium hatte man ihr dazu eine Standardaufgabe gestellt: Berechnen Sie, wie oft ein Gefangener gegen eine Wand anrennen müßte, um einen quantenmechanischen ›Tunnel‹ zu schaffen und so zu entkommen. Daher hatte die Tagespresse den Ausdruck Quantensprung , den sie nun – wie üblich – ohne Sinn und Verstand verwendete.
Alicia hatte die Aufgabe gelöst und war von der Schlichtheit des Ergebnisses fasziniert gewesen. Die Chancen verringerten sich exponentiell mit der Dicke der Mauer und waren daher unendlich gering, es sei denn, die Mauer wäre so dünn, daß der Gefangene sie auch mit dem Finger durchstoßen könnte. Doch im Prinzip konnte er, wenn er nicht aufgab, irgendwann eine Mauer jeder Dicke durchdringen. Es mochte eine Million Jahre dauern, aber im Prinzip …
»Sie müssen das so sehen«, sagte Max. »Tunneleffektbedeutet, daß ein System mittels Energie verbotene Regionen des klassischen Konfigurationsraumes ›erkunden‹ kann. Wenn erst ein noch so winziges Scheinvakuum entstanden ist, hat es die Möglichkeit, einen Tunnel in eine andere Raumzeit zu schaffen, selbst wenn diese von der unseren sehr verschieden sein sollte, immer vorausgesetzt, der Endzustand widerspricht nicht der allgemeinen Relativitätstheorie.«
»Das ist so weit hergeholt, daß ich erst solide Zahlen sehen müßte, um daran zu glauben.« Sie setzte sich auf eine Laborbank. An sich hatte sie gegen solche Spekulationen nichts einzuwenden, sie war nur ziemlich sicher, daß sie ins Leere gingen. Die alten Zweifel an Max regten sich wieder, obwohl er sich in den letzten Tagen als wahrhaft treuer Freund erwiesen hatte.
Er schüttelte so heftig den Kopf, daß seine sorgsam fixierte Tolle aus der Form geriet. »Ausgeschlossen. Dazu brauchte man eine vollständige Theorie der Quantengravitation, und die gibt es nicht. Am nächsten kommt dem noch die Arbeit von drei Typen am MIT, die ihre Hypothesen in einen Topf geworfen haben.«
Er schob ihr einen dicken Aufsatz mit dem Titel ›Is it possible to Create a Universe in the Laboratory by Quantum Tunneling?‹ von Edward Farhi, Alan Guth und Jemal Guven aus dem Jahre 1990 zu, der in der angesehenen Zeitschrift Nuclear Physics erschienen war. Ein gewichtiger Beweis, aber Alicia ließ sich von langen, theoretischen Abhandlungen nur selten beeindrucken; irgend etwas sagte ihr, daß jede wirklich gute Idee sich in schlichter, knapper Form darstellen ließ – und daß ein Theoretiker sich darum bemühen sollte, wenn er erwartete, nicht nur von Fachkollegen gelesen zu werden.
Sie runzelte die Stirn. »Sie glauben, was da steht?«
»Ich glaube,
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