Cosm
hatte ihn schließlich schon öfter und mit weit harmloseren Problemen aus heiterem Himmel überfallen.
»Wie wär’s mit heute abend?«
»Geht das denn?« Das kam aus tiefstem Herzen.
»Ich teile dir meine Ankunftszeit vom San Jose Airport aus per E-Mail mit.«
Sie hatte ihre Sprechstunde für Physik 3-B abgehalten, mit Max im Labor diskutiert, die Fragen des Sicherheitsdiensts beantwortet und so den Tag irgendwie herumgebracht. Kurz vor Einsetzen des Stoßverkehrs fuhr sie zum John Wayne Airport, um Dad abzuholen. Als er, munter seine Schultertasche schwingend, in einem flotten, grauen Anzug, der gut zu seinem braunen Gesicht paßte, aus der Ankunftshalle kam, erschien er ihr noch magerer als sonst. Die Krawatte, die er trug, hatte sie ihm vor Jahren einmal zum Geburtstag geschenkt. Ob er sie wohl absichtlich ausgesucht hatte, um ihr eine Freude zu machen? Sie würde ihn nicht danach fragen.
»Gut siehst du aus!« Er stieg auf der Beifahrerseite ein, grinste sie an und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. Er artikulierte so überdeutlich, daß es manchmal affektiert klang. Früher hatte er gern gebildete Schwarze imitiert, die sich im Straßenslang versuchten, ›mutha‹ für Mutter sagten, und im Stil von ›livin’ large, girl‹, ›willst hoch hinaus, Kleine‹ oder ›What dey gone set bail at?‹ ›Wie hoch is’n die Kaution?‹ daherquatschten. Er war ganz anders, beherrscht, akkurat, stolz auf seinen Ruf. Als unreifes Collegegirl hatte sie noch gehofft, der Ruhm ihres Vaters würde auf sie abfärben und sozusagen die Tochter mitvergolden. Jetzt hätte sie sich eher etwas von seiner Gelassenheit gewünscht.
Zunächst drehte sich das Gespräch um Familienangelegenheiten, wer sich wo aufhielt und was tat. Sie hattelängst begriffen, daß ihr anspruchsvoller Vater den Zweig der Verwandtschaft, der nicht freiwillig lernte, sondern immer erst getreten werden mußte, als elendes Pack verachtete und mit Nichtachtung bestrafte. Der respektable Teil der Familie wurde dagegen mit lebhafter Aufmerksamkeit beobachtet und lieferte Stoff für unzählige Geschichten. Wer diesem Kreis angehörte, blieb erst dann von der Schule zu Hause, wenn ihm das Blut schon aus Augen und Ohren lief, achtete auf dezente Kleidung und eine tadellose Frisur und verlor die Siegestrophäe niemals aus den Augen – denn er war zum Sieger geboren.
Auf der Fahrt durch den Laguna Canyon erkundigte sie sich vorsichtig nach Maria, mit der er seit zwei Jahren verheiratet war, und bekam zur Antwort: »Es ist sicher besser, wenn ihr euch noch ein weiteres Jahr nicht seht.«
»Aber es sind doch schon zwei Jahre«, wandte sie ein. Er gab sich überrascht, und das verriet ihr, daß alles beim alten geblieben war. Sie war mit Maria schon bei der ersten Begegnung aneinandergeraten, und zu einer Aussöhnung war es nie gekommen. Maria konnte es nicht lassen, die Welt verbal so zurechtzustutzen, daß sie ihren dezidierten Wertvorstellungen entsprach; konkret bedeutete das, daß sie sehr genau – für Alicias Geschmack zu genau – wußte, wie eine schwarze Frau zu sein hatte.
»Tja, Aleix, so etwas braucht seine Zeit«, sagte er betont ruhig. Sie hatte das afrikanische Aleix abgelegt und sich Alicia genannt, als mit dem College ein neuer Lebensabschnitt für sie begann. Als sie geboren wurde, ging der Trend gerade zur Rückbesinnung auf die schwarzen Wurzeln mit allem, was dazugehörte, doch davon waren ihre Eltern schon bald wieder abgekommen. Ihr Vater hatte sich im Laufe seiner politischen Entwicklung immer weiter von dem entfernt, was er in einer seiner Kolumnen den ›Narzißmus der kleinen Unterschiede‹ nannte. So hatte es auch seine Zustimmung gefunden, daß sie das afrikaverherrlichende Aleix aufgab. Sein einziger Kommentar war gewesen, er habe zu jener Zeit eben nichts anderes im Kopf gehabt als Essen und Volksmärchen.
Sie hätte nie erwartet, daß er eine ganze Artikelserie über seinen eigenen Weg schreiben würde, über ihre Mutter, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, über seine Art, mit diesem Schicksalsschlag fertig zu werden, und eine Folge nur über sie, seine Tochter. Er befand sich damals auf dem langen Marsch weg von der ›Verpflichtung zum Schwarzsein‹, wie er es nannte, und so vertrat er zum Schluß die These, es sei reine Verlogenheit, die Trachten und die traditionelle Küche eines Landes, das man selbst noch nie gesehen habe, aus der Mottenkiste zu ziehen. Er bezog auch Stellung gegen eine
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