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Cosm

Cosm

Titel: Cosm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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Skalierungsrelationen, in denen sie nun keine Spur von Physik mehr fand. Von da an ging es rasant bergab.
    »Wie kann man dazu allzu viel Vertrauen haben?« fragte sie plötzlich.
    »Es ist immerhin ein plausibles Modell.«
    »Wie viele weitere Modelle sind möglich?«
    »Wir sollten uns auf die plausiblen beschränken; die Möglichkeiten sind unbegrenzt, vorausgesetzt, daß auch die Raumzeit unbegrenzt ist.«
    »Wieder etwas, das ich nicht verstehe.«
    Er dozierte weiter, aber sie dachte über Paul Dirac nach, den englischen Feldtheoretiker, der Anfang der dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in einer ausnehmend eleganten Theorie das Elektron beschrieben hatte. Aus dieser Theorie hatte er ein Teilchen abgeleitet, das die gleiche Masse wie das Elektron besaß, aber entgegengesetzt geladen war; alle anderen Quantenzahlen waren identisch. Er kannte kein solches Teilchen, vermutete aber, es könne sich um das Proton handeln, obwohl die Masse um einen Faktor von 1836 und damit erheblich zu gering war. Mit etwas mehr Selbstvertrauen hätte er das Positron vorhersagen können, das kurz darauf entdeckt wurde. Solche Theorien, in denen ein mathematischer Denker versuchte, seine abgehobenen Erkenntnisse in konkrete Begriffe umzusetzen, respektierte sie. Vielleicht lag dieser Fall ja ganz ähnlich wie damals bei Dirac, überlegte sie dann. Max redete immer noch. Vielleicht mußte er an seiner Vision festhalten und hoffen, daß sie sich bestätigte. Vielleicht sollte sie einfach mitspielen.
    »Okay, okay«, sagte sie. »Was können Sie denn nun mit Ihrer Exponentialkurve vorhersagen?«
    »Daß sich in diesem anderen Universum, das wir durch das kleine Fenster unseres Cosm sehen können, sehr bald schon die ersten Galaxien zusammenballen müßten.«
    »Wie bald?«
    Er fuhr mit dem Finger die Gerade auf seinem ersten Graphen entlang und beobachtete dabei die Zeitachse. »In etwa neun Wochen müßten wir die Entstehung von Galaxien beobachten können.«
    Wenigstens brachte er den Mut auf, sich festzulegen.
    »Das ist wirklich ein Riesensprung.«
    »Ja.« Er gab endlich die angespannte Kämpferhaltung auf und setzte sich. »Aber es riecht so, als könnte es stimmen.«
    Anspannung und Erschöpfung hatten tiefe Falten in sein Gesicht gegraben. Er hatte eine Enttäuschung erlebt, doch nun glaubte er eine Lösung zu sehen und machte unverdrossen weiter.
    Warum auch nicht? Viele Physiker hatten sich ihre Entdeckungen mit Enttäuschungen erkaufen müssen. Einstein hatte sich als Junge vor einen Spiegel gestellt und sich ausgemalt, er würde immer schneller und nähere sich schließlich der Lichtgeschwindigkeit. Er hatte geahnt, daß sein Spiegelbild nicht verschwinden würde, wenn er die Lichtgeschwindigkeit erreichte, daß das Licht auch dann noch vom Spiegel reflektiert undzu seinem Auge gelenkt würde – und später hatte er die Spezielle Relativitätstheorie entwickelt.
    Im neunzehnten Jahrhundert hatten die Physiker immer wieder versucht, das Perpetuum mobile zu bauen, und waren dabei auf den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gestoßen. Der Versuch, die Position und die Geschwindigkeit eines Teilchens gleichzeitig zu bestimmen, hatte Heisenberg zur Unschärferelation der Quantenmechanik geführt.
    Und nun hatte offenbar eine Physikerin etwas – genauer gesagt, ein ganzes Universum – aus dem Nichts erschaffen. Natürlich war es Zufall gewesen. Aber sie hatte ihre Besitzansprüche von Anfang an energisch verteidigt und war dabei bis hart an die Grenzen dessen gegangen, was die Ethik der Naturwissenschaften noch erlaubte. Ob ihr die Geschichte dereinst wohl unterstellen würde, sie habe, ohne es zu wissen, aus einer tiefen, inneren Unzufriedenheit heraus gehandelt?
     
    Ein paar Stunden Schlaf waren ihr vergönnt, doch dann wachte sie wie schon so oft in letzter Zeit schweißgebadet auf, wälzte sich hin und her und zerbrach sich den Kopf über Brad und all die anderen Probleme. Der Verkehr raste vom Canyon herüber und kam auf dem Coast Highway grollend zum Stehen, im fahlen Licht der Sterne summten die Motoren wie ein Schwärm Insekten. Sie grübelte so lange, bis sie erst zu Max’ Theorie und schließlich zu Max selbst kam. Was hatte er noch gesagt, bevor sie damals nach Brads Tod ins Labor gingen, um sich den Fragen der Polizisten zu stellen? Etwas über ihr scharfes Mundwerk. »Damit kann man natürlich einiges kaschieren.«
    »Was denn?« hatte sie zurückgeschossen, und: »Das wüßte ich gern« zur Antwort

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