Cosmopolis
flüsternd und trug ständig ein Lächeln zur Schau, das kryptisch variierte.
»Aber Sie wissen ja, wie schamlos ich bin, wenn irgendetwas, das sich Idee schimpft, in der Nähe ist. Idee ist Zeit. Leben in der Zukunft. Schauen Sie sich diese durchlaufenden Zahlen an. Geld ist Zeit. Früher war das mal andersherum. Die Uhrzeit hat den Aufstieg des Kapitalismus beschleunigt. Die Leute hörten auf, über die Ewigkeit nachzudenken. Sie fingen an, sich auf Stunden, messbare Stunden, Menschenstunden zu konzentrieren und Arbeit wirksamer einzusetzen.«
Er sagte: »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
»Warten Sie. Ich denke.«
Er wartete. Ihr Lächeln war etwas verzerrt.
»Das Cyberkapital erschafft die Zukunft. Was ist die Maßeinheit namens Nanosekunde?«
»Zehn hoch minus neun.«
»Und das ist was.«
»Eine Milliardstelsekunde«, sagte er.
»Ich verstehe nichts davon. Aber es sagt mir, wie rigoros wir sein müssen, damit wir die Welt um uns angemessen ermessen können.«
»Es gibt auch Zeptosekunden.«
»Gut. Das freut mich.«
»Yoctosekunden. Eine Septillionstelsekunde.«
»Denn Zeit ist jetzt Firmenvermögen. Sie gehört zum System des freien Marktes. Die Gegenwart ist schwieriger zu finden. Sie wird aus der Welt gesaugt, um Platz zu schaffen für die Zukunft der unkontrollierten Märkte und riesigen Investitionspotenziale. Die Zukunft wird dringlich. Deshalb wird bald etwas passieren, vielleicht schon heute«, sagte sie und betrachtete listig ihre Hände. »Um die Beschleunigung der Zeit zu korrigieren. Die Natur wieder auf Normal zurückzustellen, mehr oder weniger.«
Auf der Südseite der Straße waren fast keine Fußgänger. Er führte Kinski aus dem Auto und auf den Bürgersteig, wo sie einen partiellen Blick auf die elektronische Darstellung von Marktinformationen hatten, auf die beweglichen Nachrichteneinheiten, die über die Fassade eines Büroturms auf der anderen Seite vom Broadway strichen. Kinski war gebannt. Das war deutlich etwas anderes als die gemütlichen Nachrichten, die um den alten Times Tower ein paar Blocks weiter südlich herumliefen. Hier gab es drei Datenticker, die etwa dreißig Meter über der Straße gleichzeitig und schnell durchrauschten. Finanznachrichten, Aktienpreise, Währungsmärkte. Unermüdlich Action. Der höllenschnelle Sprint von Zahlen und Symbolen, die Bruchteile, Dezimalen, stilisierten Dollarzeichen, der dahinströmende Ausstoß von Worten, multinationalen Nachrichten, alles zu flüchtig, um aufgenommen zu werden. Aber er wusste, Kinski nahm es auf.
Er stand hinter ihr, zeigte über ihre Schulter. Unterhalb der Datenstreifen, also der Ticker, gab es feststehende Ziffern, die die Uhrzeit in den wichtigsten Städten der Welt anzeigten. Er wusste, was sie dachte. Nur keine Angst vor der Geschwindigkeit, die es einem schwer macht, dem zu folgen, was vor dem Auge abläuft. Um die Geschwindigkeit geht es doch gerade. Nur keine Angst vor dem drängenden, endlosen Nachschub und davor, wie sich die Daten am einen Ende der Reihe auflösen und am anderen gleichzeitig wieder Gestalt annehmen. Darum geht es, das ist der Schub, die Zukunft. Wir verfolgen den Informationsfluss nicht so sehr als reines Spektakel oder als geheiligte, rituell unlesbare Information. Hier, wo sich womöglich Menschenmassen voller Erstaunen versammeln, werden die kleinen Monitoren im Büro, zu Hause und im Auto zu einer Art Götzenschrein.
Sie sagte: »Hört das jemals auf? Wird es langsamer? Natürlich nicht. Warum auch? Fantastisch.«
Er sah einen bekannten Namen über den Nachrichtenticker huschen. Kaganowitsch. Den Kontext hatte er aber verpasst. Der Verkehr kam kaum merklich in Gang, und sie kehrten zum Auto zurück, diskret von den Bodyguards eskortiert. Diesmal saß er auf der Bank, den Datenschirmen gegenüber, und erfuhr, dass Nikolai Kaganowitschs Tod der Kontext war, der Tod eines Mannes von protzigem Reichtum und zwielichtigem Ruf, der Russlands größtes Medienkonglomerat besaß und über Beteiligungen an Sexmagazinen wie an Satellitenübertragungen verfügte.
Er respektierte Kaganowitsch. Der Mann war schlau und hart, grausam im besten Sinne des Wortes. Er und Nikolai waren Freunde gewesen, teilte er Kinski mit. Er nahm eine Flasche Blutorangenwodka aus dem Kühlschrank und schenkte zwei kleine Gläser voll, pur, während sie die Berichterstattung über das Ereignis auf mehreren Bildschirmen verfolgten.
Sie errötete ein wenig, als sie an ihrem Drink nippte.
Der Mann lag bäuchlings
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