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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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juwelenbesetzten Totenköpfen. Danko sprach mit ihm, öffnete sein Jackett, um die Waffe im Holster zu zeigen, ein eindeutiges Leumundszeugnis, und der Mann gab Anweisungen. Eric folgte seinem Bodyguard einen gipsigen feuchten Durchgang entlang, dann eine steile, enge Metalltreppe hoch und auf einen Laufsteg oberhalb des Soffittenbereichs.
    Er sah hinunter auf ein ausgeweidetes Theater, wo elektronischer Sound hämmerte. Dicht gepackt die Körper, bis hin zu Orchestergraben und Logen, und in den Trümmern des zweiten Balkons, der noch nicht abgerissen war, bewegten sich Tänzer, und sie quollen die Treppe hinunter und ins Foyer, Körper in zyklonischem Tanz, und auf der Bühne und im Graben noch mehr wirbelnde Körper in einem Schwall farblosen Lichts.
    Ein handbeschriftetes Bettlakenbanner baumelte vom Balkon.
DER LETZTE TECHNO-RAVE
    Die Musik war kalt und repetitiv, von Computerloops in lange percussive Passagen zerteilt, mit ferne hallenden Tunnelsounds unter dem pochenden Beat.
    »Das ist sehr verrückt. Übernehmen ganzes Theater. Was finden Sie?«, sagte Danko.
    »Ich weiß nicht.«
    »Ich weiß auch nicht. Aber ich finde verrückt. Sieht aus wie Drogenszene. Was finden Sie?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, das ist neuste Droge. Heißt Novo. Macht Schmerz weg. Schauen Sie, wie gut es ihnen geht.«
    »Kinder.«
    »Das sind Kinder. Genau. Welchen Schmerz haben sie, dass sie Pille nehmen müssen? Musik, okay, zu laut, na und. Es ist schön, wie sie tanzen. Aber welchen Schmerz, wo sie noch zu jung sind, um Bier zu kaufen?«
    »Der Schmerz reicht inzwischen für alle«, teilte Eric ihm mit.
    Es war Schwerarbeit, zu reden und zuzuhören. Schließlich mussten sie sich in dem betäubenden Lärm ansehen und von den Lippen ablesen. Jetzt, da er Dankos Namen kannte, nahm er ihn auch wahr, teilweise. Ein Mann um die vierzig, Durchschnittsgröße, Narben quer über Stirn und Wangen, mit einer krummen Nase und borstigem, kurzgeschorenem Haar. Er lebte nicht in seiner Kleidung, seinem Rolli und Blazer, sondern in einem Körper, der aus rohen Erfahrungen gemeißelt war, aus erlittenen und bis an äußerste Grenzen getriebenen Dingen.
    Musik verschlang die Luft ringsum, und sie kam aus riesigen Lautsprechern, die zwischen den zerstörten Wandmalereien vor gegenüberliegenden Wänden aufgestellt waren. Allmählich empfand er eine Andersweltlichkeit, eine seltsame Störung im Rhythmus der Szene. Die Tänzer schienen gegen die Musik anzuarbeiten, bewegten sich zunehmend langsamer, während das Tempo sich verdichtete und beschleunigte. Sie sperrten den Mund auf und ließen den Kopf auf den Schultern rollen. Alle Jungen hatten Eierköpfe, die Mädchen huldigten der Magersucht. Die Lichtquelle befand sich auf der Bühnenarbeiterebene oberhalb des Balkons und verstrahlte lange, kühle Wellen in streifigem Grau. Für jemanden, der von oben schaute, wurden die Raver mit einer gewissen Nachsicht angeleuchtet, das war ein visueller Gegenschlag zu dem ominösen Sound. Unter der Musik lief ganz fern eine Tonspur, die einer weiblichen Stimme ähnelte, aber keine war. Da sprach und stöhnte es. Der Text schien einen Sinn zu ergeben, tat es aber nicht. Eric hörte sich das an, wie außerhalb der Reichweite irgendeiner von Menschen gebrauchten Sprache geredet wurde, und vermisste es sofort, als es abbrach.
    »Ich fasse es nicht, dass ich hier bin«, sagte Danko.
    Er schaute Eric an und lächelte über die Vorstellung, hier zu sein, unter amerikanischen Teenagern in einem stilisierten Aufruhr, bei einer Musik, die einen überwältigte und Haut und Hirn durch digitales Gewebe ersetzte. Etwas Ansteckendes lag in der Luft. Nicht allein die Musik und das Licht zogen einen hinein, nicht das Spektakel des Massentanzes in einem Theater ohne Sitze und Anstrich und Geschichte. Eric dachte, vielleicht war es auch die Droge Novo, die ihre Wirkung von denen, die sie nahmen, auf diejenigen überspringen ließ, die sie nicht nahmen. Man fing sich ein, was die hatten. Zuerst stand man daneben und schaute zu, und dann war man in und bei der Menge, ein Teil davon, und dann war man die Menge, dicht gedrängt und wie ein Mann tanzend.
    Die waren schwerelos da unten. Er vermutete, dass die Droge dissoziativ war und Geist und Körper trennte. Das war eine gefühlsleere Menge, außerhalb von Sorge und Schmerz, zur glasigen Wiederholung neigend. Die ganze Drohung der elektronischen Welt lag in der Wiederholung. Das war die Musik dieser Menge, laut, neutral, blutleer und

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