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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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angenähert hatte. Er erzählte ihr außerdem, dass irgendjemand da draußen in der regengepeitschten Nacht eine glaubwürdige Drohung gegen sein Leben ausgesprochen hatte. Dann beobachtete er, wie sie die Neuigkeiten aufnahm.
    Er sagte: »Du isst. Das ist gut.«
    Aber sie aß gar nicht. Mit erhobener Gabel nahm sie die Neuigkeiten auf, saß bleich schweigend da. Er wollte sie nach draußen in die Gasse ziehen und es dort mit ihr treiben. Darüber hinaus, was? Er wusste es nicht. Er konnte es sich nicht vorstellen. Aber das hatte er nie gekonnt. Er fand es plausibel, dass sich seine unmittelbare und fernere Zukunft in den Ereignissen der nächsten paar Stunden oder Minuten oder noch weniger verdichten würde. Andere Bedingungen von Lebenserwartung hätte er nicht als real empfunden.
    »Es ist in Ordnung. Es ist okay«, sagte er. »Ich fühle mich auf eine ganz neue Weise frei.«
    »Das ist so grässlich. Sag so was nicht. Frei wozu? Pleite zu gehen und zu sterben? Hör zu. Ich werde dir finanziell helfen. Ich werde tun, was ich kann, um dir zu helfen, wirklich. Du kannst dich wieder etablieren, in deinem Tempo und auf deine Weise. Sag mir, was du brauchst. Ich helfe dir, versprochen. Aber als Paar, als Ehepaar sind wir ja wohl am Ende. Du redest vom Frei-Sein. Na, heute ist dein Glückstag.«
    Er hatte seine Brieftasche in der Jacke im Hotelzimmer vergessen. Sie nahm die Rechnung entgegen und fing wieder an zu weinen. Sie weinte sich durch den Tee mit Zitrone, und dann gingen sie zusammen zur Tür, eng umschlungen, ihr Kopf an seiner Schulter.
    Seine Zigarre lag kokelnd in einem Aschenbecher auf der Bordbar, und er zündete sie wieder an. Das Aroma gab ihm ein Gefühl von robuster Gesundheit. Irgendwo in dem brennenden Blatt roch er Wohlbehagen, langes Leben, sogar beschauliche Vaterschaft.
    Auf der anderen Straßenseite war noch ein Theater, nicht weit vom verfallenen Ende des Blocks, dem Biltmore, und er sah ein Gerüst davor und Bauschutt in einem Container daneben. Es wurde restauriert, die Vordertüren waren verrammelt, aber einige Leute schlüpften durch den Bühneneingang hinein, junge Männer und Frauen, gewagte Paare und Gruppierungen, und aus der Tiefe des Gebäudes hörte er irgendwelchen Lärm oder Maschinengeräusche oder das massive Klopfen und Klecksen von Musik.
    Er wusste, er würde hineingehen. Aber vorher musste er noch mehr Geld verlieren.
    Das Glas seiner Armbanduhr war auch ein Bildschirm. Wenn er den Online-Modus aktivierte, traten die anderen Funktionen in den Hintergrund. Es brauchte einen Moment, bis eine Reihe verschlüsselter Signaturen dekodiert war. So pflegte er sich früher in die EDV – Systeme von Firmen einzuhacken und gegen Honorar ihre Sicherheitsvorkehrungen zu testen. Diesmal tat er es, um sich die Bank-, Wertpapier- und Auslandskonten von Elise Shifrin vorzunehmen, sodann, um Elise algorhythmisch stillzulegen und das Geld von diesen Konten zu Packer Capital zu transferieren, wo er ein neues Konto für sie eröffnete, mehr oder weniger sofort, indem er mit dem Daumennagel ein paar Zahlen auf der winzigen Tastatur drückte, die um die Uhrglasrille herum verlief. Dann machte er sich daran, dieses Geld zu verlieren, indem er es systematisch in der Rauchwolke der donnernden Märkte verteilte. Er wollte auf diese Weise sicherstellen, dass er ihr Angebot, ihm finanziell zu helfen, nicht annehmen konnte. Die Geste hatte ihn gerührt, aber er musste natürlich widerstehen, sonst drohte der tiefinnere Seelentod. Doch das war nicht der einzige Grund, ihre Geburtsansprüche zu verschleudern. Er setzte hier sein eigenes Zeichen, eine Geste der ironischen endgültigen Bindung. Soll doch alles zusammenkrachen. Sollen sie sich erkennen, unbelastet und verloren. Das war die Rache des Individuums an dem mythischen Paar.
    Wie viel war Elise wert?
    Die Zahl überraschte ihn. Insgesamt waren es siebenhundertfünfunddreißig Millionen, in US – Dollar. Die Zahl schien belanglos zu sein, ein Lotterie-Jackpot, den sich siebzehn Postangestellte teilten. Die Worte klangen belanglos und blechern, und er versuchte, sich für Elise zu schämen. Aber das war sowieso alles Luft. Es war Luft, die dem Mund entströmt, wenn Worte gesprochen werden. Es waren Kodexlinien, die in simulierten Räumen interagieren.
    Sollen sie sich erkennen, sauber, in mörderischem Licht.
    Danko ging ihm zum Bühneneingang voraus. Ein Rausschmeißer war dort postiert, gigantisch, anabolikal, und er trug Daumenringe mit

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