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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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kontrolliert, und allmählich gefiel sie ihm.
    Aber er fühlte sich alt, als er sie tanzen sah. Eine Ära war ohne ihn gekommen und wieder gegangen. Sie verschmolzen miteinander, damit sie als Einzelne nicht verschrumpelten. Der Lärm war fast unerträglich und nistete sich in seinen Haaren und Zähnen ein. Er sah und hörte zu viel. Aber das war seine einzige Verteidigung gegen den um sich greifenden geistigen Zustand. Da er die Droge nie berührt oder geschmeckt und erst recht nicht gesehen hatte, fühlte er sich ein kleines bisschen weniger wie er selbst und ein bisschen mehr wie die anderen, da unten, beim Raven.
    »Sie sagen Bescheid, wenn wir gehen. Ich bringe Sie raus.«
    »Wo ist er?«
    »Am Eingang. Torval? Er passt am Eingang auf.«
    »Haben Sie schon mal Menschen umgebracht?«
    »Was glauben Sie? Wie nur was«, sagte er.
    Inzwischen waren sie in einem Trancezustand, tanzten in extremer Zeitlupe. Die Musik wurde zum Klagelied, mit lyrischen Keyboardschnörkeln, die Brücken zu jedem Bedauern schlugen. Es war der letzte Techno-Rave, das Ende von was immer es das Ende war.
    Danko führte ihn die lange Treppe hinunter und durch den Durchgang. Es gab Garderoben mit Ravern drin, die überall herumsaßen und – lagen, übereinander zusammengesackt. Er stand auf einer Türschwelle und schaute. Sie konnten weder sprechen noch gehen. Einer von ihnen leckte einem anderen übers Gesicht, die einzige Bewegung im Raum. Sogar mit abnehmender Selbstbewusstheit konnte er sie in ihrem chemischen Delirium erkennen, in ihrer Zerbrechlichkeit und Daseinssehnsucht, und das war zart und anrührend, denn sie waren doch nur Kinder, die versuchten, sich nicht in der Luft zu verlieren.
    Er war fast bis zum Bühneneingang gekommen, als er merkte, dass Danko nicht bei ihm war. Das verstand er. Der Mann war irgendwo dahinten und tanzte, außerhalb der Reichweite seiner Kriege und Leichen, und die Heckenschützen in seinem Kopf feuerten beim ersten Lichtstrahl los.
    Weit ausholend ging er Schritt für Schritt mit Torval zum Auto. Der Regen hatte aufgehört. Das war gut. Das war eindeutig, was der Regen tun sollte. Im schimmernden Natriumdampflicht der Straße baute sich langsam Spannung auf. »Wo ist er?«
    »Hat beschlossen, drin zu bleiben«, sagte Eric.
    »Gut. Wir brauchen ihn nicht.«
    »Wo ist sie?«
    »Hab sie nach Hause geschickt.«
    »Gut.«
    »Gut«, sagte Torval. »Sieht gut aus.«
    In der Limo kampierte jemand. Eine Frau saß schief auf der Bank, eingenickt, alles Plastik und Lumpen, und Torval beförderte sie hochkant raus. Sie machte einen kleinen Tanz daraus, sich freizustrampeln, und stand da als ein Ganzes, ein aufrechter Haufen aus Kleidern und zusammengebündelten Habseligkeiten, mit Sandwichtüten für Almosen am Gürtel.
    »Ich suche eine Zigeunerin. Liest hier wer aus der Hand?«
    Eine jener unverbrauchten Stimmen, die außerhalb der Welt erklingen.
    »Wie wär’s mit Füßen?«, sagte sie. »Lies mir aus den Füßen.«
    Er suchte seine Taschen nach Kleingeld ab, kam sich etwas albern vor, etwas bekümmert, nachdem er Summen verdient und verloren hatte, mit denen man einen Planeten kolonisieren könnte, aber die Frau zog schon mit schlappenden Schuhsohlen weiter, und in seiner Hose waren sowieso weder Scheine noch Münzen zu finden, und irgendwelche Ausweispapiere auch nicht.
    Das Auto überquerte die Eighth Avenue, entfernte sich vom Theaterviertel, von den aufgereihten Supper Clubs und Lounges, fuhr jetzt auch über die Ladenpassagen hinaus, die Fluggesellschaften und Auto-Showrooms, und rein in die kiezhaften, vermischten, eher unauffälligen Blocks mit Reinigungen und Schulhöfen und nur noch einem Hauch der alten Kampf- und Brodelhitze von Hell’s Kitchen mit seinen schiefen Feuerleitern an den alten Backsteinbauten. Es herrschte wenig Verkehr, aber das Auto behielt das schleppende Tempo des Tages bei. Weil Eric auf seinem Sitz durch das offene Fenster mit Torval redete, der draußen neben dem Wagen herlief.
    »Was wissen wir?«
    »Wir wissen, dass es keine Gruppe ist. Keine organisierte Terrorzelle oder internationale Kidnapper mit Lösegeldforderungen.«
    »Also ein Einzelner. Kümmert uns das?«
    »Wir haben keinen Namen. Aber wir haben einen Anruf. Der Komplex analysiert Stimmdaten. Sie haben einige Einschätzungen abgegeben. Und sie entwerfen einen Handlungsverlauf aus der Sicht des Einzelnen.«
    »Warum bringe ich so gar keine Neugier für das Thema auf?«
    »Weil es egal ist«, sagte Torval. »Wer

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