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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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verrotten zu lassen. Das ist ein Skandal, Mann.«
    »Alles ist ein Skandal. Sterben ist ein Skandal. Und doch tun wir’s alle.«
    »Ich höre Stimmen in der Nacht. Weil ich weiß, das kannst nicht du sein, der das sagt.«
    Zahllose Frauen gingen neben den Limousinen her, in Kopftüchern und Djellabas, die Hände hennabefleckt, barfuß, klagend. Kozmo schlug sich wieder an die Brust, und Eric tat es ihm nach. Er fand seinen Freund im Tode eindrucksvoll, mit Vollbart, einem weißen Seidenkaftan, dessen Kapuze zurückgeschlagen war, und seinem Markenzeichen, dem roten Fez auf dem Kopf, schick schräg, und wie rührend, dass der Mann in der Spirale seiner eigenen Stimmadaptationen alter Sufi-Musik lag, die er auf Pandschabi und Urdu und im schwarzen Protzslang der Straße rappte.
Auf dich geschossen wird schnell
Sieben Mal hab ich’s erlebt
Jetzt bin ich nur ein Poet
Der seine Reime verwebt
    Die Menge war groß und still, wurde dichter auf den Bürgersteigen, und Menschen in Schlafanzügen sahen aus den Fenstern ihrer Mietwohnungen zu. Vier von Fez’ Bodyguards begleiteten langsam den Leichenwagen, einer an jeder Ecke des Gefährts. Sie waren westlich gekleidet, dunkle Anzüge und Krawatten, dazu geputzte Oxford-Schuhe, und Kampfgewehre präsentiert.
    Das gefiel Eric. Bodyguards bis in den Tod. Eric dachte Ja. Dann die Breakdancer, in gebügelten Jeans und Turnschuhen, gekommen, um die Geschichte des Verstorbenen zu beglaubigen, der als Raymond Gathers in der Bronx geboren wurde und einst ein recht berühmter Breaker war. Das waren seine Zeitgenossen, sechs Männer, über die sechs Spuren der Avenue aufgestellt, inzwischen Mitte dreißig, nach all den Jahren wieder auf der Straße, um ihre Windmühlen und Räder zu vollführen, ihre unmöglichen Headspins.
    »Frag mich mal, ob ich wohl total auf diesen Scheiß stehe«, sagte Kozmo.
    Aber das kraftvolle Spektakel brachte eine gewisse Melancholie in die Menge, mehr Bedauern als Erregung. Selbst die jüngeren Leute wirkten beherrscht, übermäßig respektvoll, während die Breaker auf den Ellbogen rotierten und ihre Körper in einem Rausch der Horizontale parallel zum Boden streckten.
    Trauer sollte machtvoll sein, dachte Eric. Aber die Menge war immer noch dabei zu lernen, wie man einen einzigartigen Rapper wie Fez betrauerte, der Sprache, Tempi und Themen mischte.
    Nur Kozmo war knalllebendig.
    »Ich, so dick, wie ich bin, und außerdem ein altmodischer Nigger, ich muss das toll finden, was ich da sehe. Denn das würde ich selbst an meinem dünnsten Tag auf Erden nicht schaffen, im Traum nicht.«
    Ja, sie wirbelten auf den Köpfen, die Körper aufrecht und die Beine leicht gespreizt, und einer der Breaker hatte die Hände auf dem Rücken gefesselt. Eric fand, das hatte etwas Mystisches jenseits menschlichen Fassungsvermögens, die halb verrückte Leidenschaft eines Wüstenheiligen. Wie weltvergessen er sein musste, hier im Schmier und Teer der Ninth Avenue.
    Familie und Freunde kamen als Nächstes, in sechsunddreißig weißen Stretchlimousinen, immer drei nebeneinander, dazu der Bürgermeister und der Polizeipräsident in sachlichem Profil und ein Dutzend Kongressmitglieder, dann die »Mütter der von der Polizei erschossenen unbewaffneten Schwarzen«, Mitrapper in der mittleren Phalanx, dann Medienmanager, ausländische Würdenträger, Gesichter aus Film und Fernsehen und überall dazwischen Vertreter aller Weltreligionen in ihren Roben, Kapuzen, Kimonos, Sandalen und Soutanen.
    Vier Nachrichtenhubschrauber rauschten über sie hinweg.
    »Er hatte seinen Klerus gern dabei«, sagte Kozmo. »Einmal ist er mit einem Imam und zwei weißen Jungs, so Anzugträgern aus Utah, in meinem Büro aufgetaucht. Er setzte sich immer ab, damit er beten konnte.«
    »In Los Angeles hat er eine Zeit lang in einem Minarett gelebt.«
    »Hab ich gehört.«
    »Ich war einmal zu Besuch. Er hatte es neben seinem Haus gebaut und ist dann aus dem Haus aus- und in das Minarett eingezogen.«
    Die Stimme des Toten wurde jetzt lauter, während der Lautsprechertruck näher kam. Fez’ beste Songs waren sensationell, und selbst die, die nicht gut waren, waren gut.
    Das Klatschen des Chors hinter seiner Stimme steigerte sich und trieb Fez in improvisierte Rhythmen hinein, die kühn und unerträglich klangen. Großes frommes Geheul, Johlen und Straßengeschrei. Das Klatschen sprang von der Aufnahme auf die Menschen in den Limousinen und die Menge auf den Bürgersteigen über, und es gab dem Abend ein

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