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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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gemeinschaftliche Gnade hineindrehen, dachte er. Und weil heute Abend jemand tot ist und nur Wirbeln ihren Kummer mildern kann.
    Er glaubte diese Dinge. Er versuchte, sich eine Art Entfleischlichung vorzustellen, die Wirbelnden, wie sie zerschmolzen, sich auflösten in rotierende Flüssigkeit, in Ringe aus Wasser und Nebel, die irgendwann in der Luft aufgehen.
    Er fing an zu weinen, als das nachfolgende Sicherheitskommando vorbeikam, ein Mannschaftswagen der Polizei und mehrere Zivilstreifen. Er weinte heftig. Er verschränkte die Arme und schlug sich mit den Fäusten gegen die Brust. Die Pressebusse kamen als Nächstes, drei Stück, und inoffizielle Trauergäste zu Fuß, viele erinnerten an Pilger, alle Rassen und Glaubensrichtungen und Kleidungsstile, und er schaukelte hin und her und weinte, als die Trauernden vorbeifuhren, eine improvisierte Prozession, achtzig, neunzig Autos in lockerer Folge.
    Er weinte um Fez und um alle Anwesenden und natürlich um sich selbst, gab sich völlig seinen heftigen Körperschluchzern hin. Andere weinten in der Nähe. Eine Woge aus Schlägen gegen die Brust und rudernden Armen. Dann schlang Kozmo einen Arm um ihn und zog ihn an sich. Es kam ihm nicht merkwürdig vor, dass das passierte. Wenn Menschen sterben, weint man. Je größer die Persönlichkeit, desto ausgedehnter die Klage. Die Menschen rauften sich die Haare und schrien den Namen des Toten. Eric wurde langsam still. In den Leder- und Fleischmassen von Kozmos Umklammerung spürte er, wie er allmählich akzeptierte.
    Eins wünschte er sich noch von dieser Beerdigung. Er wollte den Sarg wieder vorüberziehen sehen, den halb aufgerichteten, sichtbaren Körper, er wollte eine digitale Leiche, eine Endlosschleife, eine Replikation. Das einmalige Kommen und Gehen erschien ihm ungerecht. Der stolze Leichnam sollte in Intervallen zurückkehren, der Nacht dargeboten, und Kummer und Erstaunen der Menge immer wieder erneuern.
    Er war es leid, Monitore anzuschauen. Plasma-Monitore waren nicht flach genug. Früher hatten sie flach gewirkt, jetzt nicht mehr. Er sah dem Weltbankpräsidenten zu, der zu einer Versammlung angespannter Wirtschaftswissenschaftler sprach. Er fand, das Bild könnte gestochener sein. Dann sprach der Präsident der Vereinigten Staaten aus seiner Limousine, auf Englisch und Finnisch. Er konnte ein bisschen Finnisch. Eric hasste ihn dafür. Er wusste, sie würden irgendwann herausfinden, wie er das ganz allein zu Wege gebracht hatte, mittlerweile müde und seines Besitzes verlustig. Er tippte den kodierten Befehl ein, die Bildschirme glitten in ihre Luken und Einbauschränke zurück, und die ursprüngliche Pracht des Wageninneren war wieder hergestellt, die unverstellten Sichtachsen und darin sein einsamer Körper, und er merkte, wie sich in seinem Immunsystem ein Niesen aufbaute.
    Die Straßen leerten sich schnell, Straßensperren wurden auf Lkws geladen und fortgebracht. Das Auto fuhr jetzt, Torval saß vorne.
    Eric nieste und hatte ein Gefühl von Unvollständigkeit. Ihm wurde bewusst, dass er immer zweimal nieste, so kam es ihm jedenfalls rückblickend vor. Er wartete, und wie eine Belohnung kam das zweite Niesen.
    Was bringt Menschen zum Niesen? Ein Schutzreflex der Nasenschleimhäute, um invasive Substanzen auszuwerfen. Die Straße war tot. Das Auto fuhr an der spanischen Kirche und der Gruppe eingerüsteter Brownstone-Häuser vorbei. Er schenkte sich einen Brandy ein und merkte, dass er wieder Hunger hatte.
    Weiter vorn kam ein Restaurant, auf der Südseite der Straße. Ein äthiopisches, sah er und stellte sich ein Stück weiches braunes Fladenbrot vor, das durch Linseneintopf gezogen wurde. Er stellte sich Yebeg Wat in Berbersauce vor. Es war zu spät, der Laden konnte nicht mehr auf haben, aber hinten, bei der Küche, war noch ein trübes Licht zu sehen, und er ließ den Fahrer anhalten.
    Er wollte Yebeg Wat. Er wollte es sagen, riechen und essen. Was dann passierte, passierte schnell. Er trat auf den Bürgersteig, und ein Mann kam angerannt und schlug ihn. Er, also Eric, hob einen Arm zur Verteidigung, allerdings zu spät, und schlug blindlings zu, streifte den Mann aber höchstens am Kopf oder an der Schulter. Er spürte den Matsch, eine Pampe aus Blut und Materie auf seinem Gesicht. Er konnte nichts sehen. Seine Augen waren von dem Zeug verklebt, aber er konnte Torval in der Nähe hören und das Rascheln und Grunzen, während die beiden Männer rangelten.
    Er stand auf dem Bordstein, zog ein Taschentuch

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