Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
Viktors Augen vor Neugier aufblitzen. »Wo hast du etwas aufgeschnappt?«
»Als ich Zovastinas persönlichem Sicherheitsdienst zugeteilt war, unmittelbar vor unserem Aufbruch letzte Woche.«
Zovastinas Leibwächter wechselten sich täglich nach einem Rotationsprinzip ab. Dabei gab es eine klare Regel für die Männer: Es ging um die Sicherheit der Chefministerin, und alles Gehörte und Gesehene, das diese nicht unmittelbar betraf, sollte man am besten sofort vergessen. Doch das hier war etwas anderes. Er musste Bescheid wissen. »Erzähl es mir.«
»Sie hat Pläne.«
Er hielt das Medaillon hoch. »Was haben die mit diesen Münzen hier zu tun?«
»Anscheinend einiges. Denn sie hat jemandem am Telefon gesagt, sie bräuchte die Medaillons, um zu verhindern, dass es Probleme gibt.« Rafael stockte. »Ihr Ehrgeiz kennt keine Grenzen.«
»Aber sie hat so viel erreicht. Mehr als bisher jemand geschafft hat. Es lässt sich jetzt gut leben in Zentralasien. Endlich.«
»Ich habe es in ihren Augen gesehen, Viktor. Das alles reicht ihr nicht. Sie will mehr.«
Er versteckte seine Nervosität hinter einem fragenden Blick.
»Ich habe eine Biografie über Alexander gelesen, die sie mir gegenüber erwähnt hat«, sagte Rafael. »Sie empfiehlt einem gerne Bücher. Vor allem Bücher über Alexander. Kennst du die Geschichte von Alexanders Pferd Bukephalos?«
Viktor hatte von Zovastina davon gehört. In Alexanders Kindheit hatte dessen Vater einmal ein gutes Pferd erworben, das sich aber nicht zureiten ließ. Alexander tadelte seinen Vater und den königlichen Zureiter und behauptete, er könne das Tier zähmen. Philipp bezweifelte dies, doch nachdem Alexander versprochen hatte, ihm das Pferd von seinem eigenen Vermögen abzukaufen, falls er scheiterte, gab der König nach. Alexander, der bemerkt hatte, dass das Pferd Angst vor seinem eigenen Schatten hatte, drehte das Tier in die Sonne und konnte es nach einigem guten Zureden besteigen.
Viktor erzählte Rafael die Geschichte.
»Und weißt du auch, was Philipp zu Alexander sagte, nachdem dieser das Pferd geritten hatte?«
Viktor schüttelte den Kopf.
»Er sagte: ›Such dir ein Königreich, das dir entspricht, denn Makedonien ist nicht groß genug für dich.‹ Und genau das ist Zovastinas Problem, Viktor. Ihre Föderation ist größer als Europa, aber sie ist ihr nicht groß genug. Sie will mehr.«
»Das soll nicht unsere Sorge sein.«
»Aber was wir hier tun, hat irgendwie mit ihrem Vorhaben zu tun.«
Er schwieg, doch auch er war beunruhigt.
Rafael schien sein Widerstreben zu spüren. »Du hast dem Mann am Telefon gesagt, dass wir fünfzigtausend Euro mitbringen. Aber wir haben kein Geld.«
Viktor war froh über den Themenwechsel. »Wir brauchen keins, denn wir werden uns das Medaillon ohne Geld beschaffen.«
»Dann müssen wir alle eliminieren, die in der Sache drinstecken.«
Rafael hatte recht. Chefministerin Zovastina würde keine Fehler dulden.
»Ganz meine Meinung«, sagte er. »Wir bringen alle um.«
13
Samarkand
Zentralasiatische Föderation
11.30 Uhr
Der untersetzte kleine Mann, der Irina Zovastinas Büro betrat, hatte ein flaches Gesicht und ein energisches Kinn, das auf Eigensinn schließen ließ. Er hatte den dritthöchsten Rang in der Vereinigten Luftwaffe der Föderation inne, aber er war auch der heimliche Führer einer kleineren politischen Partei, die in letzter Zeit erschreckend laut an die Öffentlichkeit getreten war. Als Kasache, der heimlich jeglichen slawischen Einfluss bekämpfte, ließ er sich gerne über die Zeit der Nomaden vor Hunderten von Jahren aus, lange bevor die Russen alles verändert hatten.
Sie sah den Rebellen an und fragte sich, wie man ihn mit seiner Glatze und den ausdruckslosen Augen für attraktiv halten konnte, doch in der Presse wurde er als klug, beredt und überzeugend beschrieben. Er war vor zwei Tagen in den Palast gebracht worden, nachdem er plötzlich mit hohem Fieber, Nasenbluten, schrecklichen Hustenanfällen und pochenden Schmerzen in der Hüfte zusammengebrochen war. Sein Arzt hatte eine Virusinfektion mit dem Verdacht auf Lungenentzündung diagnostiziert, aber bisher hatte keine Behandlung geholfen.
Doch heute schien es ihm wieder besser zu gehen.
Er war barfuß und trug einen der kastanienbraunen Morgenmäntel des Palasts.
»Sie sehen gut aus, Enver. Viel besser.«
»Warum bin ich hier?«, fragte er mit ausdrucksloser Stimme.
Er hatte schon Zovastinas Männer befragt, die daraufhin auf Anweisung der
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