Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
Chefministerin Anspielungen auf seinen Verrat gemacht hatten. Interessanterweise hatte der Oberst keinerlei Furcht gezeigt. Er äußerte seinen Widerstand weiterhin, indem er statt Russisch Kasachisch sprach. Sie beschloss, ihm den Gefallen zu tun und in der alten Sprache zu antworten. »Sie waren todkrank. Ich habe Sie hierherbringenlassen, um Sie von meinen Ärzten behandeln zu lassen.«
»Ich kann mich an gestern überhaupt nicht erinnern.«
Sie wies ihn an, sich zu setzen, und schenkte Tee aus einer Silberkanne ein. »Sie waren in schlechter Verfassung. Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht und beschloss, Ihnen zu helfen.«
Er betrachtete sie mit unverhohlenem Misstrauen.
Sie reichte ihm Tasse samt Untertasse. »Grüner Tee mit Apfelgeschmack. Wie ich gehört habe, mögen Sie das.«
Er nahm die Tasse nicht an. »Was wollen Sie von mir, Frau Ministerin?«
»Sie haben mich und unsere Föderation verraten. Ihre politische Partei hat das Volk zu zivilem Ungehorsam angestachelt.«
Er zeigte keine Überraschung. »Sie sagen ständig, dass wir das Recht auf freie Meinungsäußerung haben.«
»Und das glauben Sie mir?«
Sie stellte die Tasse auf den Tisch, denn sie hatte keine Lust mehr, die Gastgeberin zu spielen. »Vor drei Tagen wurden Sie einem Virus ausgesetzt, das innerhalb von vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden tötet. Hohes Fieber, Wasser in der Lunge und eine Schwächung der Arterienwände, die schwere innere Blutungen zur Folge hat, führen dann unweigerlich den Tod herbei. Ihre Krankheit war noch nicht bis zu diesem Punkt fortgeschritten. Aber inzwischen wäre sie es.«
»Und wie wurde ich geheilt?«
»Ich habe das Ganze gestoppt.«
»Sie?«
»Ich wollte Ihnen lediglich klarmachen, was ich Ihnen antun kann.«
Er schwieg einen Moment und war offensichtlich damit beschäftigt, diese Neuigkeiten zu verdauen.
»Sie sind Oberst unserer Luftwaffe. Sie haben einen Eid geschworen, die Föderation mit Ihrem Leben zu verteidigen.«
»Und das würde ich auch tun.«
»Und doch haben Sie anscheinend kein Problem damit, andere zum Verrat anzustiften.«
»Ich frage noch einmal: Was wollen Sie?« Sein Tonfall war bar jeder Höflichkeit.
»Ihre Loyalität.«
Er schwieg.
Sie griff nach einer Fernbedienung, die auf dem Tisch lag. Ein Flachbildschirm, der auf dem Schreibtischrand stand, sprang an und zeigte fünf Männer in einer Menschenmenge, die unter bunten Markisen Marktstände mit frischem Obst und Gemüse begutachteten.
Ihr Gast stand auf.
»Dieses Überwachungsvideo stammt von einer der Kameras auf dem Navoi-Markt. Diese Kameras sind recht nützlich zur Verbrechensbekämpfung und zur Erhaltung von Recht und Ordnung. Aber sie gestatten uns auch, unsere Feinde im Auge zu behalten.« Es war offensichtlich, dass er die Gesichter der Männer erkannte. »Richtig, Enver. Das sind Ihre Freunde. Ihr seid zum Widerstand gegen die Föderation entschlossen. Ich kenne eure Pläne.«
Sie kannte die Philosophie seiner Partei recht gut. Vor der kommunistischen Machtübernahme, als die Kasachen noch überwiegend in Jurten lebten, waren Frauen ein integraler Bestandteil der Gesellschaft gewesen und hatten mehr als ein Drittel aller politischen Ämter besetzt. Doch durch die Einflüsse der Sowjets und des Islam hatten Frauen an Einfluss verloren und waren an den Rand gedrängt worden. Die Unabhängigkeit in den Neunzigerjahren hatte zwar zu einer Rezession geführt, Frauen aber wieder zu wichtigen gesellschaftlichen Positionen verholfen, in welchen sie stetig mehr Einfluss gewannen. Die Föderation hat diese Stärkung der gesellschaftlichen Bedeutung der Frauen verfestigt.
»Enver, Sie wollen doch gar nicht zurück zu den alten Zeiten, als wir noch über die Steppe zogen. Denn damals haben Frauen die Gesellschaft gelenkt. Nein. Sie wollen einfach nur politische Macht. Und wenn Sie das Volk mit den Bildern einer glorreichen Vergangenheit aufstacheln können, nutzen Sie das zu Ihrem Vorteil aus. Sie sind keinen Deut besser als ich.«
Er spie ihr vor die Füße. »Da sehen Sie, was ich von Ihnen halte.«
Sie zuckte die Achseln. »Ihre Meinung tut nichts zur Sache.« Sie zeigte auf den Bildschirm. »Vor Sonnenuntergang werden all diese Männer infiziert sein, wie Sie es waren. Sie werden nichts davon merken, und wenn sie dann Schnupfen, Hals- oder Kopfschmerzen bekommen, werden sie glauben, dass sie eine Erkältung ausbrüten. Sie erinnern sich an diese Symptome, nicht wahr, Enver?«
»Sie sind wirklich so
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