Cotton-Malone 03 - Der Pandora-Pakt
Das benachbarte Wohnzimmer hatte eine Kassettendecke und einen Intarsienparkettboden, der von einem ukrainischen Teppich geschützt wurde. Auch der Teppich war ein Geschenk. An der hinteren Wand des langgezogenen Raums hing ein antiker Spiegel, und die drei hohen Fenster waren mit Taftvorhängen geschmückt.
Immer, wenn sie durch diesen Flur ging, dachte sie an den Nachmittag vor sechs Jahren, als sie sich jener verschlossenen Tür genähert hatte. Karyn war nackt im Schlafzimmer gewesen, und auf ihr hatte ein Mann mit magerer Brust, lockigem Haar und muskulösen Armen gelegen. Sie meinte noch immer das erregte Stöhnen zu hören, mit dem die beiden den Körper des anderen erkundet hatten. Zovastina hatte eine Weile dagestanden und zugesehen, bis die zwei aufgehört hatten.
»Irina« , sagte Karyn ruhig. »Das ist Michele. «
Karyn war aus dem Bett gestiegen, hatte ihr langes, welliges Haar zurückgestrichen und dabei ihre Brüste gezeigt, die Irina so oft Lust bereitet hatten. Karyn war mager wie ein Schakal, und ihre makellose Haut schimmerte zimtbraun. Sie hatte eine Stupsnase mit feinen Nasenlöchern, porzellanglatte Wangen, und um ihre schmalen Lippen spielte ein geringschätziges Lächeln. Zovastina hatte schon vermutet, dass ihre Geliebte sie betrog, aber es war etwas anderes, es mit eigenen Augen zu sehen.
»Du kannst von Glück sagen, dass ich dich nicht töten lasse. «
Karyn antwortete völlig ungerührt: »Sieh ihn dir an. Ihm ist es wichtig, wie ich mich fühle, und er gibt, ohne zu fragen. Du dagegen nimmst immer nur. Das ist alles, was du kannst. Du gibst Befehle und erwartest, dass sie befolgt werden. «
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich jemals beschwert hättest. «
»Ich habe einen hohen Preis dafür gezahlt, deine Hure zu sein. Ich habe Dinge aufgegeben, die mehr wert sind als Geld. «
Zovastinas Blick wanderte gegen ihren Willen zu dem nackten Michele.
»Er gefällt dir, nicht wahr?« , fragte Karyn.
Zovastina ging nicht auf die Frage ein. Sie sagte: »Ich möchte, dass ihr bis zum Anbruch der Nacht verschwunden seid. «
Karyn trat dicht an sie heran, und Zovastina roch den süßen Duft ihres teuren Parfüms. »Willst du wirklich, dass ich gehe?« Ihre Hand wanderte zu Zovastinas Oberschenkel. »Vielleicht würdest du ja auch gerne deine Kleider ausziehen und dich zu uns gesellen. «
Zovastina schlug ihrer Geliebten mit dem Handrücken ins Gesicht. Das kam nicht zum ersten Mal vor, aber bisher hatte sie sie noch niemals im Zorn geschlagen. Blut sickerte aus Karyns aufgeplatzter Lippe, und Karyn starrte Zovastina hasserfüllt an. »Verschwindet. Vor Einbruch der Nacht, oder ich verspreche euch, dass ihr den Morgen nicht mehr erleben werdet. «
Das war jetzt sechs Jahre her. Eine lange Zeit.
Zumindest kam es ihr so vor.
Sie öffnete die Tür und trat ein.
Das Schlafzimmer war noch immer mit zierlichen Möbeln aus der französischen Provinz ausgestattet. Ein offener Kamin aus Marmor und vergoldeter Bronze, der von zwei ägyptischen Porphyr-Löwen bewacht wurde, schmückte eine Wand. Das Beatmungsgerät, die Sauerstoffflasche und der Tropf, dessen durchsichtige Schläuche sich zu einem Arm schlängelten, wirkten neben dem Bett völlig fehl am Platz.
Karyn lag von Kissen gestützt in der Mitte eines riesigen Bettes, die Decke aus korallenroter Seide bis zur Taille hochgezogen. Ihre Haut hatte die Farbe brauner Asche und wirkte durchsichtig wie Wachspapier. Das einst dichte, blonde Haar hing zerzaust und dünn wie ein Nebelschleier herab. Ihre Augen, die einst lebhaft blau geblitzt hatten, lagen jetzt tief in den Höhlen. Die kantige Wangenpartie war leichenblass und so ausgemergelt, dass die Stupsnase nun wie eine Adlernase wirkte. Ein Spitzennachthemd umfing ihren ausgezehrten Körper wie eine Flagge, die schlaff am Mast hängt.
»Was willst du schon wieder?«, murmelte Karyn mit brüchiger, angestrengter Stimme. Mit jedem Atemzug wurde ihr über Schläuche Sauerstoff in die Nasenlöcher gepumpt. »Kommst du, um zu sehen, ob ich tot bin?«
Irina näherte sich dem Himmelbett und nahm den Geruch im Zimmer intensiver wahr. Es roch ekelerregend nach Desinfektionsmittel, Krankheit und Verfall.
»Hast du nichts zu sagen?«, stieß Karyn kaum hörbar hervor.
Irina starrte sie an. Untypischerweise war diese Beziehung für sie völlig ungeplant verlaufen. Karyn hatte zuerst zu ihrem Mitarbeiterstab gehört, war dann ihre persönliche Sekretärin und schließlich ihre Geliebte
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