Cotton Malone 04 - Antarctica
war mit dem zu vergleichen, was er jetzt erblickte.
Vor ihm erstreckte sich ein Prozessionsweg aus unregelmäßig geformten, polierten Platten, zu dessen Seiten sich dicht an dicht Gebäude unterschiedlicher Form und Größe drängten. Andere Straßen kreuzten diesen Weg. Der Kokon aus Stein, der die Siedlung umschloss, reichte mehrere hundert Meter hoch in die Luft, und die fernste Wand lag vielleicht zwei Fußballfelder entfernt. Sogar noch beeindruckender waren die vertikalen Fronten der Felsgipfel, die sich wie riesige Monolithen glatt poliert vom Boden bis zur Decke erhoben. Symbole, Buchstaben und Zeichnungen waren hineingemeißelt. Mit der Taschenlampe entdeckte Malone an der nächstgelegenen Wand ein Ineinander von weißlich gelbem Sandstein, grünlich rotem Schiefer und schwarzen Dolerit-Keilen. Es sah aus wie Marmor – und man hatte eher das Gefühl, in einem Gebäude zu stehen als in einem Berg.
In regelmäßigen Abständen standen Pfeiler entlang der Straße und trugen mehr von dem Quarz, das wie ein Nachtlicht sanft schimmerte und alles mit einer Aura von Geheimnis umgab.
»Großvater hatte recht«, sagte Dorothea. »Es existiert wirklich.«
»Ja, er hatte recht«, verkündete Christl mit erhobener Stimme. »Er hatte in allem recht.«
Malone hörte ihren Stolz heraus und spürte ihre Erregung.
»Ihr alle habt ihn für einen Träumer gehalten«, fuhr Christl fort. »Mutter hat ihn und Vater gescholten. Aber die beiden waren Visionäre.«
»Das hier wird wirklich alles ändern«, sagte Dorothea.
»Du hast kein Recht, daran teilzuhaben«, entgegnete Christl. »Ich habe immer an ihre Theorien geglaubt. Deswegen habe ich in diese Richtung geforscht. Ihr habt darüber gelacht. Jetzt wird niemand mehr über Hermann Oberhauser lachen.«
»Wie wäre es, wenn wir mit den Lobpreisungen abwarten und uns erst einmal alles anschauen?«, schlug Malone vor.
Er führte die Gruppe weiter und spähte in die Seitenstraßen, so weit der Strahl ihrer Taschenlampen reichte. Eine Vorahnung hatte sich seiner bemächtigt, aber die Neugierde trieb ihn weiter. Beinahe rechnete er damit, dass aus den Häusern Leute kommen und sie begrüßen würden, aber es waren nur ihre eigenen Schritte zu hören.
Die Gebäude waren teils quadratisch, teils rechteckig. Die Wände waren aus ohne Mörtel eng verfugten, behauenen und glatt polierten Steinen errichtet. Im Licht der beiden Taschenlampen kamen leuchtend bunte Fassaden zum Vorschein. Rostrot, braun, blau, gelb, weiß und golden. Schwach geneigte Dächer krönten Ziergiebel voller komplexer Spiralmuster und weiterer Schrift. Alles wirkte ordentlich, praktisch und gut organisiert. In der antarktischen Kälte war alles erhalten geblieben, auch wenn es Hinweise auf das Arbeiten geologischer Kräfte gab. Viele der Quarzblöcke in den hoch aufragenden Lichtspalten waren herausgefallen. Ein paar Wände waren eingebrochen, und in der Straße gab es Höcker.
Der Hauptweg führte auf einen kreisrunden Platz, der von weiteren Gebäuden umstanden war, darunter ein tempelähnlicher Bau mit wunderschön verzierten, quadratischen Pfeilern. In der Mitte des Platzes stand das charakteristische Symbol, das auf dem Buchdeckel geprangt hatte, ein riesiges, glänzend rotes Monument, das von Reihen von Steinbänken umgeben war. Mit seinem eidetischen Gedächtnis rief Malone sich mühelos in Erinnerung, was Einhard geschrieben hatte.
Als Zeichen ihrer Zustimmung stempelten die Berater das Symbol der Rechtschaffenheit unter alle gesetzlichen Verfügungen. In roten Stein gemeißelt steht dieses Symbol in der Mitte der Stadt und wacht über die jährlichen Beratungen. Zuoberst zeigt es eine halbe, glorreich strahlende Sonne. Darunter kommen die Erde, ein einfacher Kreis, und die Planeten, die durch einen Punkt innerhalb des Kreises symbolisiert sind. Das Kreuz darunter erinnert an das Land, während ganz zuunterst das Meer wogt.
Auf dem Platz standen zahlreiche etwa drei Meter hohe Pfeiler. Alle waren rot und oben mit Schnörkeln und Ornamenten verziert. Malone zählte achtzehn davon. Darin war in eng stehenden Zeilen weitere Schrift eingemeißelt.
Die Gesetze werden von den Beratern erlassen und in die Pfeiler der Rechtschaffenheit in der Mitte der Stadt eingemeißelt, so dass jeder die Vorschriften kennt.
»Einhard war hier«, sagte Christl. Ihr war offensichtlich dasselbe aufgefallen wie ihm. »Es ist so, wie er es beschrieben hat.«
»Da du uns das, was er geschrieben hat, nicht
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