Cotton Malone 05 - Der Korse
umkommen können?«
»So ungefähr.«
»Sam, dieser alte Mann will Ashby töten. Nichts wird ihn aufhalten.«
»Doch, ich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sam. Ich mag dich. Wirklich. Aber ihr seid alle verrückt. Das ist einfach zu viel.«
Sie stand im Regen, das Gesicht von widersprüchlichen Emotionen verzerrt. Er dachte an ihren Kuss gestern Nacht unter der Erde. Es gab etwas zwischen ihnen. Eine Verbindung. Eine gegenseitige Anziehung. Aber er sah, was in ihren Augen stand.
»Ich kann nicht«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
Dann drehte sie sich um und rannte weg.
Thorvaldsen achtete auf einen günstigen Moment. Ashby und seine beiden Begleiter waren nirgends zu sehen, das düstere Kirchenschiff hatte sie verschluckt. Das trübe Licht draußen entsprach fast dem Dämmerlicht drinnen, und so konnte er unter dem Schutz von Wind und Regen hineinschlüpfen.
Der Eingang lag etwa in der Mitte der langen Südseite der Kirche. Thorvaldsen kauerte sich sofort links hinter ein aufwändiges Grabmonument, wo unter einem Triumphbogen zwei aus altersfleckigem Marmor gehauene Statuen lagen. Beide waren ausgemergelte Gestalten, so dass sie eher Leichen als lebende Personen darzustellen schienen. Ein Messingschild kennzeichnete die Statuen als Abbilder von König François I. und seiner Königin, die im sechzehnten Jahrhundert geherrscht hatten.
Hinter den Säulen, die in gotischer Manier hoch aufragten, hörte er leise Stimmen. Im schwachen Licht waren weitere Grabstätten zu sehen, dazwischen standen leere Stühle in ordentlichen Reihen. Die Stimmen erreichten ihn nur mit Unterbrechungen. Seine Ohren waren nicht mehr so gut wie früher, und der Regen, der auf das Dach trommelte, machte es auch nicht besser.
Er musste näher heran, also verließ er sein Versteck und huschte zum nächsten Grabmal, einer zierlichen Frauenskulptur, die kleiner war als das letzte Monument. Aus einem Gitter im Boden stieg warme Luft auf. Wasser tropfte von seinem Mantel auf den Kalksteinboden. Vorsichtig knöpfte er das feuchte Kleidungsstück auf und zog es aus, doch vorher nahm er noch die Pistole aus der Manteltasche.
Er schlich sich zu einer wenige Meter entfernten Säule, die das südliche Querschiff vom Hauptschiff trennte, sorgfältig bemüht, gegen keinen der Stühle zu stoßen.
Ein einziges Geräusch – und sein Vorteil wäre weg.
Ashby hörte zu, wie die verängstigte Caroline Peter Lyon erzählte, was er wissen wollte. Sie zog ein Blatt Papier aus ihrer Manteltasche.
»Diese römischen Zahlen sind eine Botschaft«, sagte sie. »So etwas bezeichnet man als Maurischer Knoten. Die Korsen haben die Technik von den arabischen Piraten gelernt, die ihre Küste heimsuchten. Es handelt sich um ein Verschlüsselungssystem.«
Lyon griff nach dem Papier.
CXXXV II CXLII LII LXIII
XVII II VIII IV VIII IX II
»Normalerweise beziehen sich die Zahlen auf die Seite, die Zeile und das Wort eines bestimmten Schriftstücks«, erklärte sie. »Sender und Empfänger haben denselben Text vor sich. Da nur sie beide wissen, welches Schriftstück verwendet wurde, ist die Entschlüsselung des Codes durch jemand anderen nahezu unmöglich.«
»Und wie haben Sie es dann geschafft?«
»Napoleon hat seinem Sohn diese Zahlen im Jahr 1821 geschickt. Damals war der Junge erst zehn. In seinem Testament hat Napoleon dem Jungen vierhundert Bücher hinterlassen und eines davon eigens mit Titel aufgeführt. Aber der Sohn sollte die Bücher erst mit seinem sechzehnten Geburtstag erhalten. Der Code, den wir hier vor uns haben, ist sonderbar, weil er nur zwei Reihen von Zahlen enthält, es muss sich hier also um die Seite und die Zeile handeln. Um den Code zu entschlüsseln, musste der Sohn oder wahrscheinlicher noch die Mutter, denn an sie hatte Napoleon tatsächlich geschrieben, den Text kennen, den der Vater verwendet hatte. Um den Text aus dem Testament kann es sich nicht handeln, denn das Testament kannten sie noch nicht, als er ihnen diesen Code geschickt hat. Schließlich lebte Napoleon ja noch.«
Vor lauter Angst fing sie an, dummes Zeug zu faseln, aber Ashby unterbrach sie nicht.
»Daher habe ich einfach darauf getippt, dass Napoleon einen universellen Text ausgewählt hat. Einen, den man immer zur Hand hat. Der war leicht zu finden. Dann habe ich gemerkt, dass Napoleon einen Hinweis hinterlassen hat, wo man nachschauen sollte.«
Lyon wirkte tatsächlich beeindruckt. »Sie sind ja eine richtige Detektivin.«
Das Kompliment beruhigte sie nur
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