Couchgeflüster
gebe ich auch noch den Begriff «Kaufsucht» in die Suchzeile ein:
Ein Suchtverhalten kann erfolgreich mit Verhaltenstherapie behandelt bzw. eingedämmt werden. Unter behutsamer Anleitung können z. B. Waschzwangerkrankte lernen, dass sie sich nicht mehrere hundert Mal am Tag die Hände waschen und auch nicht x-mal duschen müssen. Leider gibt es für Kaufsüchtige noch keine geeignete Therapie, da diese Erkrankung erst seit relativ kurzer Zeit auftritt. In neueren Studien fand man jedoch heraus, dass es sich um eine typische Wohlstandssucht handelt …
Ach, nee. Wer hätte das gedacht?! Das leuchtet ja sogar mir ein: ohne Geld keine Kaufsucht. Aber wenn man selbst in langwierigen und kostspieligen Studien nicht dahintergekommen ist, wie soll ich dann Jeanette Krüger behandeln? Dabei hatte ich gehofft, sie wäre die einfachere Patientin!
Tja, wenn es noch keine erfolgreiche Behandlungsmethode gibt, muss ich eben eine entwickeln. So schwierig kann das ja nicht sein.
Statt eines dringend notwendigen Kopfstands atme ich nur einige Male tief durch – Butterbrot und Apfel würden sonst den umgekehrten Weg nehmen – und schließe meine Augen, um mich besser konzentrieren zu können. Es dauert nicht lange, bis meine krausen Gehirnzellen wie unter Strom vibrieren und absurde Möglichkeiten ausspucken: Jeanette Krüger leere Einkaufstüten nach Hause tragen oder all ihre Kreditkarten sperren lassen. Doch wo bliebe da bei ihr das Vergnügen?
Aber viel wichtiger als Frau Krügers Spaß ist eine zündende Idee gegen Bens Flugangst!
Eine Minute vor zwei schrillt in der Praxis Dr. Nitsche die Türglocke.
Mit klopfendem Herzen eile ich den Flur entlang. Natürlich habe ich mich längst wieder auf seriöse Therapeutin gestylt. Mein Haar ist glatt geföhnt und zu einem Knoten gesteckt, ich habe mir eine dunkelgrüne Leinenhose und ein ärmelloses schwarzes Leinentop angezogen. Außerdem dufte ich nach dem Parfüm, das ich am ersten Abend mit Ben trug. Es heißt doch immer, Düfte wecken Erinnerungen. Vielleicht klappt es ja. Ich meine, wenn ich Zimt rieche, denke ich selbst im Hochsommer unweigerlich an Weihnachten.
Im Flur werfe ich einen letzten Kontrollblick in den Spiegel, streiche über meinen betonierten Haarknoten und schiebe die Hornbrille zurecht.
Puh, sehe ich kompetent aus! Lächelnd öffne ich die Tür.
«Hallo, Ben.»
«Hi, Ella», begrüßt er mich.
Über den Brillenrand wage ich einen Blick. Er trägt helle Jeans, darüber ein türkises Schlabbershirt mit Palmenaufdruck und an den Füßen Sandalen. Der totale Freizeitlook, inklusive Bartstoppeln, als würde er mich zu einem Ausflug an den Wannsee abholen wollen. Perfekt bei dem schwülheißen Sommerwetter. Und ich würde auch nichts lieber tun, als mich mit Ben in einem Badesee abkühlen. Natürlich nicht als seine Seelenflüsterin – sondern als seine Freundin.
Aber solange er mich Ella nennt, steht quasi meine Mutter zwischen uns. Das muss ich baldmöglichst ändern.
«Komm doch rein», fordere ich ihn freundlich auf und strecke ihm selbstbewusst die Hand entgegen.
Ben schüttelt sie und lässt seinen Blick über mein Outfitgleiten. «Tolles Top, es betont deine Arme. Treibst du viel Sport?»
«Nun, ich mache regelmäßig Yoga», antworte ich und blicke ihm direkt in die Augen. Ich bin gespannt, ob das Wort
Yoga
irgendeine Assoziation bei ihm auslöst.
«Ja, Yoga ist klasse», entgegnet Ben ohne das winzigste Anzeichen einer Erinnerung.
Das wäre ja auch zu einfach, denke ich enttäuscht. «Ich hole uns noch was zu trinken», verkünde ich über die Schulter. «Du weißt ja, wo es langgeht.»
Als ich wenig später mit den Getränken auf einem Tablett das Beratungszimmer betrete, liegt Ben ausgestreckt auf der Couch. Er hat seine Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Füße übereinandergekreuzt und seine Augen geschlossen.
Verzückt betrachte ich das Objekt meiner Sehnsucht. Er ist ja so süß. Und es kostet mich alle Kraft, mich nicht einfach zu ihm zu legen, mich an ihn zu kuscheln und ihm zuzuflüstern, was er vergessen hat. Stattdessen muss ich die dunklen Ecken seiner verletzten Psyche erforschen und dabei professionellen Abstand einhalten. Tja, Liebe zwischen Arzt und Patient ist absolut tabu.
Ich will gerade das Tablett auf dem Schreibtisch abstellen, als die Türklingel schrillt und ich mich maßlos erschrecke.
Die Wirkung ist so unerwünscht wie die auf Beipackzetteln in Arzneipackungen genannten. Ungewollt laut
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