Couchgeflüster
der für Shoppingtempel typischen Verführungsatmosphäre. Obwohl ich mir wirklich nicht viel aus Klamotten, Schminke und Schmuck mache, kann ich mich den glitzernden Waren nicht vollkommen entziehen. Ich ahne, wie Jeanette sich fühlen muss, sobald sie einen Fuß auf den hellen Steinboden des Hauses setzt.
«Gehört der Kaufhaustrip eigentlich schon zur Therapie?», flachst Ben und wirkt schon wesentlich entspannter. «Oder willst du nur mal eben eine Handtasche oder ein Paar neue Schuhe kaufen?»
«Keine Bange, während einer Therapie widme ich mich voll und ganz
nur
dem Patienten. Da geht’s lang», verkünde ich und weise in die Richtung des gläsernen Lifts.
Widerspruchslos folgt mir Ben.
Der Aufzug ist auf dem Weg nach unten, dennoch müssen wir noch einige Minuten warten.
«Irgendwelche Anweisungen?», erkundigt sich Ben, als wäre er mein Angestellter.
«Nein, es ist noch nicht so weit», antworte ich und lasse ihn weiter im Ungewissen. «Ich gebe dir dann ein Zeichen.»
«Welches?»
In dem Moment hält der Lift. Die Tür öffnet sich lautlos, und eine junge Mutter mit Kinderwagen steigt aus. Wir lassen sie vorbei und steigen ein. Ich drücke auf die Sieben, die Tür schließt sich, und der Aufzug fährt los.
«Also welches Zeichen gibst du mir?», fragt Ben erneut.
Ich schweige beharrlich. Hoffentlich funktioniert mein Plan, flehe ich im Stillen und fühle prompt den Kloß wieder im Hals.
Als der Lift in der ersten Etage hält, steigt eine ältere Frauein. Sie trägt Jeans, Rüschenbluse, Sommerstiefel und einen Strohhut im Cowboylook. Alles in Weiß. Als i-Tüpfelchen lugt aus ihrer hellen Umhängetasche noch ein kleiner weißer Fiffi mit dunklen Knopfaugen hervor, wie ihn Hollywoodstars gerne mit sich rumschleppen.
«Entschuldige, Ben, was hast du gefragt? Ich war gerade etwas abgelenkt.»
«Welches Zeichen du mir geben willst», präzisiert Ben ungeduldig seine Frage und tritt nervös von einem Bein aufs andere.
«Ach so, ja …», antworte ich zögernd und versuche, ihn nicht direkt anzusehen. Er soll nicht merken, dass wir bereits mittendrin sind in der Verhaltenstherapie.
Ich hab mir nämlich überlegt, dass eine Fahrt im Glaslift viel mit einem Flug gemeinsam hat. Man verliert den Boden unter den Füßen und hebt ab. Vielleicht gründet Bens Flugangst auf dem Gefühl des Eingeschlossenseins. Und das ist in Aufzügen ja auch der Fall. Allerdings kommt man da schneller raus, und für Panikattacken gibt’s einen Alarmknopf.
Die Aufzugtür schließt sich. Es geht weiter nach oben.
Gespannt beobachte ich Ben aus den Augenwinkeln. Bis zu diesem Halt war ja alles normal. Aber er lehnt jetzt an der Aufzugwand, atmet seltsam schwer und starrt unverwandt auf den Boden.
Leise surrt der Lift an der dritten Etage vorbei.
Bens Atem geht schneller.
In der vierten Etage läuft Ben rot an, und kleine Schweißperlen treten auf seine Stirn. Hektisch zerrt er am Ausschnitt seines T-Shirts , als bekäme er keine Luft.
«Alles okay?», frage ich ehrlich besorgt. Hoffentlich bemerkter nichts von meiner aufsteigenden Angst. Ich mache mir Vorwürfe. Meine hirnrissigen Ideen bringen ihm jetzt auch noch körperliche Qualen ein.
Den starren Blick weiter auf den Boden gerichtet, hebt Ben wortlos die Hand. Sein Atem flattert heftig, und seine ganze Körperhaltung wirkt verkrampft.
«Wir sind gleich oben», versuche ich ihn zu beruhigen.
Mist! Er hyperventiliert. Wieso hab ich keine Papiertüte dabei? Eine gute Therapeutin sollte immer eine Tüte bereithalten, ein paar Beruhigungströpfchen oder Traubenzucker dabeihaben oder sonst irgendwie vorbereitet sein.
In meiner Ratlosigkeit versuche ich es mit den Yogakommandos. «Einatmen … Ausatmen … Ganz ruhig atmen.»
«Ham ’se Platzangst?», fragt die Frau und krault ihren Taschenhund, worauf er in unangenehm hoher Tonlage loskläfft.
Kein Wunder. In einer Tasche würde ich auch Platzangst kriegen.
Als der Lift im fünften Stock hält und die Tür aufgeht, steigt unsere Mitfahrerin aus. Kaum ist das weiße Gespann verschwunden, entspannt sich Ben sichtlich und atmet wieder normal.
«Lass uns lieber auch aussteigen», schlage ich besorgt vor und lege vorsichtig meine Hand auf seinen Arm.
Ich verstehe das nicht. Hatte Ben nun Platzangst oder Flugangst? Oder war das eine Reaktion auf die weißen Klamotten der Frau? Oder will er mich vielleicht veräppeln? Hat er mir etwas vorgespielt, weil meine Methoden so ungewöhnlich sind?
«Du brauchst
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