Cowgirl in Spitzenhöschen
hatte – zwei Jahre war er damals erst gewesen –, schwärmte er für Cowboys. Sie schienen größer und lebendiger als normale Menschen zu sein. Normale Menschen wie sein Großvater, dem ein Lebensmittelladen gehörte, oder wie Mr. Hudson, ein pensionierter Postbeamter, der fünf Mal in der Woche seinen Rasen mähte. Oder wie Russ Honnecker, der bestimmt der langweiligste Mensch auf der ganzen Welt war.
Cowboys waren nicht langweilig.
Außer auf Hochzeiten, wenn von ihnen erwartet wurde, sich gut zu benehmen.
Jake presste das Gesicht an die Fensterscheibe, um den fremden Cowboy genauer zu betrachten. Er gehörte wohl nicht zu der Hochzeitsgesellschaft.
Eigentlich sah er aus wie jeder andere Cowboy auch. Er trug ein langärmeliges Hemd, Stiefel und einen Cowboyhut, den er so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass Jake ihn nicht richtig erkennen konnte.
Er lehnte am Laternenpfahl und hatte seine Daumen in die Gürtelschlaufen gesteckt. Jake konnte sehen, wie er seine Schulter an dem Laternenpfahl rieb und aufmerksam das Gebäude betrachtete.
Jakes Neugier war geweckt, und seine Hoffnung erhielt neue Nahrung.
Vielleicht war dieser Cowboy ja ein alter Freund von Poppy, der jetzt die Hochzeit sprengen und Shane eins auf die Nase geben wollte. Aber während Jake noch darüber nachdachte, fiel ihm ein, dass es dafür zu spät war. Die Hochzeit war längst vorbei, Poppy und Shane waren schon vor einer Stunde gegangen. Wenn der Fremde sich mit Shane prügeln wollte, musste er ihn erst einmal suchen, und dann würde Jake nicht dabei sein können.
Der Cowboy beobachtete weiter das Gebäude und machte einen Schritt darauf zu. Doch plötzlich hielt er inne, rieb sich den Nacken und lehnte sich wieder gegen den Laternenpfahl.
Worauf mochte er wohl warten? Warum kam er nicht einfach herein?
Der Cowboy trat mit einem Stiefel gegen den Beton, und dabei schienen leuchtende Fünkchen von seinem Fuß aufzusteigen.
Jake hielt den Atem an. Was war das? Er drückte das Gesicht noch fester an die Fensterscheibe.
Der Cowboy löste sich langsam von der Laterne, und Jake wartete gespannt darauf, dass er nun endlich hereinkommen würde.
Stattdessen steckte der Cowboy seine Hände in die Hosentaschen, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in der Dunkelheit. Aber Jake konnte noch sehen, dass überall, wo er mit seinen Stiefeln auftrat, eine kleine Wolke glitzernder Pünktchen aufgewirbelt wurde.
Jake war wie gebannt.
Sternenstaub – Stardust!
Er hatte den Stardust-Cowboy gesehen! Den größten und besten von allen – der, von dem seine Mutter ihm immer Geschichten erzählt hatte, der, von dem sein Vater ihm ein Bild gemalt hatte.
“Du wirst ihn treffen, wenn du es am wenigsten erwartest, und dann wird er dich zu einem großen Abenteuer mitnehmen”, hatte seine Mutter gesagt, dann hatte sie ihre Stimme gesenkt und ihn groß angesehen. “Die Frage ist nur, ob du auch mutig genug bist, mit ihm zu gehen.”
Der Cowboy hatte gar nicht auf Shane gewartet.
Nein, gerade als Jake sich am meisten gelangweilt hatte, war der Stardust-Cowboy zu ihm gekommen!
Er sprang von seinem Stuhl auf, rannte direkt durch den Raum, wobei er andauernd den Tanzenden in die Quere kam. Unter fortwährenden Entschuldigungen lief er weiter in Richtung Tür.
Dann hörte er seine Mutter empört aufschreien. “Jake Malone!”
“Komm mit!”, rief er ihr zu. “Komm, Mom! Er ist da! Er ist es!”
Bestimmt würde sie sofort wissen, wen er meinte. Als er noch kleiner gewesen war, hatte sie ihm jeden Abend vor dem Einschlafen von dem einzigartigen, wunderbaren Cowboy erzählt, der den Leuten die Chance gab, ihre Träume zu verwirklichen.
Und gerade jetzt war der Stardust-Cowboy draußen, und er musste unbedingt zu ihm.
“Jake!”, rief sein Großvater, und es war eindeutig ein Befehl.
Aber diesmal konnte Jake einfach nicht gehorchen. Er tat so, als hätte er nichts gehört, und rannte durchs Foyer zum Ausgang. Er musste sich gewaltig anstrengen, die schwere Eichentür zu öffnen, aber schließlich zwängte er sich hindurch und stürmte die Treppe hinunter. Die letzten drei Stufen nahm er in einem Satz und stürzte auf die Straße. Angestrengt hielt er Ausschau nach dem geheimnisvollen Cowboy, der gekommen war, um all seine Hoffnungen und Wünsche zu erfüllen.
Aber der Cowboy war verschwunden.
Riley Stratton hasste Hochzeiten.
Die vielen fremden Menschen, die er gesehen hatte, als er vor dem Hotel stand, hatten ihn durcheinandergebracht.
Weitere Kostenlose Bücher