CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Krickettraining hätte. Dabei hatte er nicht vor hinzugehen.
Billie, Flips andere Freundin, erwischte ihn im Gang auf dem Weg von Französisch zu Mathe. Sie sah aus wie eine blauäugige, halbwüchsige Shakira. Eine wütende Shakira. Eine, die eine Entschuldigung dafür forderte, dass er sie gestern versetzt hatte. Alex behauptete, es täte ihm leid, erfand eine Ausrede, mogelte sich durch.
»Tja«, sagte Billie, grinste listig und zog ihn am Schlips zu sich heran, »dann hast du ja noch was gutzumachen.« Wieder war der Kuss nicht von langer Dauer. »Was ist denn mit dir?«, sagte sie und löste den Lippenkontakt.
»Was meinst du?«
»Dein Mund ist … total
schlaff.
Du küsst ja wie ein Siebtklässler.«
Um ehrlich zu sein, hatte er vor diesem Morgen noch nie ein Mädchen geküsst. Nicht richtig. Nicht mit Flips Mund. Übrigens auch nicht mit seinem eigenen. Und jetzt hatte er gleich zwei geküsst. Sozusagen.
»Und deine Haare«, sie fuhr mit den Fingern hindurch, »die sehen richtig schrottig aus.«
Die Haare. Flips tolle, cool verstrubbelte und stylisch abstehenden Haare. Sie hatten Alex, als er sie nach dem Duschen abgetrocknet hatte, vor ein echtes Problem gestellt. Wie sollte er sie kämmen oder bürsten oder was auch immer Flip normalerweise damit anstellte? Wieging das mit dem Gel? Alex hatte noch nie Haargel benutzt. Das war jetzt nicht zu übersehen.
Billie wollte wissen, ob er endlich mit Donna Schluss gemacht habe. Nein, erwiderte er. Noch nicht. »Wenn das so ist«, sagte sie, »muss ich ihr die Neuigkeiten wohl selber überbringen, was?«
»Ich hab ihre Nummer.« Alex zeigte auf sein Handy. »Falls du ihr eine SMS schreiben willst.«
Sie starrte ihn an. »Du bist wirklich ein arroganter Drecksack, Philip Garamond.«
Fühlte es sich so an, wenn man Flip war? Wenn man gut aussah und beliebt war? Wenn man
heiß
war? Wenn sexy Mädels Schlange standen, um sich mit einem zu verabreden? Konnte man sie behandeln, wie man wollte, und trotzdem kamen sie immer wieder angekrochen? An der Crokeham Hill hatte Alex die Flips immer beneidet – jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Diese ganzen Heimlichkeiten … der ganze Stress, die Lügen … Alex konnte nicht nachvollziehen, wieso die Mädchen sich das antaten, beziehungsweise wieso Flip sich das selbst antat.
In der ersten Pause und dann auch in der Mittagspause ging Alex schnurstracks in die Bibliothek und schaute nach seinen Mails. Nichts von David.
Er hatte die Mail sowohl an Davids Schul- als auch an seine Hotmail-Adresse geschickt, und obwohl er wusste, dass sein Freund seine Mails tagsüber nicht regelmäßig checkte, wartete Alex ungeduldig auf Antwort. Nach derletzten Stunde ging er sofort wieder in die Bibliothek. Die machte um vier Uhr zu, aber David müsste eigentlich gegen halb vier zu Hause sein. Alex wartete. Schaute alle paar Minuten in den Eingangsordner. Wartete weiter. Nichts. Jedes Mal nichts.
David würde bestimmt antworten. Er
musste
einfach antworten!
Alex stellte sich vor, wie David an seinem Schreibtisch unter dem Hochbett hockte, in dem Haus, in dem er mit zwei Schwestern, einem Bruder und einem Vater, aber ohne Mutter wohnte. Der Bettbezug in den Nationalfarben von Jamaika. Aus den Lautsprechern lärmten die
Killers,
die
Fratellis,
die
Arctic Monkeys
oder die
Kaiser Chiefs
. In Reichweite eine Dose
Tango
und eine Packung
Monster Munch
mit Zwiebelgeschmack. Krümel auf der Tastatur. Blinzelnde Augen hinter manisch geputzten Brillengläsern.
Beim Gedanken an seinen Freund stiegen Alex Tränen in die Augen.
Viertel vor vier, immer noch keine Nachricht. Fünf vor vier, immer noch nichts. Eine der beiden Bibliothekarinnen machte Alex darauf aufmerksam, dass die Bibliothek in fünf Minuten schloss. Die paar anderen Schüler räumten ihre Sachen zusammen und gingen in Richtung Ausgang.
Alex klickte wieder auf seinen Posteingang. Drei Minuten vor vier: endlich eine neue Nachricht.
Davids Hotmail-Adresse in der Absenderzeile. Alex’ Atem ging schneller, seine Hand auf der Maus wurdeschweißfeucht. Mit einem Doppelklick öffnete er die Nachricht.
Wer bist du??
Eilig tippte Alex seine Antwort. Was glaubst du denn? Diesmal reagierte David sofort. Das ist unmöglich .
7
Flip zu sein war so, als spielte man die Hauptrolle in einem Film über einen Spezialagenten, der verdeckt arbeitete. Es war ein Leben voller Listen und Ausflüchte, wobei Alex’ äußere Erscheinung tagtäglich das innere
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