CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
musste.
Vielleicht übernahm Flips Körper ja einfach. Diese Muskeln und Gliedmaßen funktionierten bestimmt reflexhaft, unabhängig von den Signalen aus Alex’ Hirn. Oder auch nicht.
Trugen Schlagmänner keine Helme? Beim Training der Neuntklässler anscheinend nicht.
Der Werfer war ein schlaksiger Rotschopf mit Armen wie ein Affe. Der erste Ball landete im Netz hinter dem »Wicket« genannten kleinen Tor. Die Stäbe waren aber noch unversehrt. Das war schon mal gut. Weniger gut war, wo der Schläger landete. Bei dem verzweifelten Versuch, den Ball zu treffen, war Alex der Griff aus den Händen gerutscht und wie bei einem Hammerwurf gegen die Oberkante des Netzes geflogen. Der nächste Ball knallte gegen die Stäbe. Der dritte prallte am Randder Schlägerfläche ab und erwischte Alex schmerzhaft am Mund.
Bis auf Beagle schien niemand zu Hause zu sein. Alex stellte den Fernseher an und ließ den Hund Tennis schauen. Oben im Bad betrachtete er den Schaden. Seine Oberlippe war aufgeplatzt und der Mund war auf einer Seite geschwollen, als hätte er eine Schönheitsoperation hinter sich. Die Stelle wurde schon blau. Wenigstens waren noch alle Zähne da. Alex wusch sich, so gut es ging, das Gesicht und passte auf, dass die Wunde nicht wieder aufriss. Das Hemd war hin. Er zog es aus und warf es in den Wäschekorb. Als er diesmal vor dem Spiegel stand, kam ihm der Anblick von sich selbst als Flip noch genauso merkwürdig vor wie vor zwei Tagen. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt. Ob der kleine Knick in seiner Nase wohl ebenfalls von einer Sportverletzung herrührte? Kricket oder Basketball? Oder von einer Schlägerei? War Flip der Typ, der sich prügelte? Die Statur dazu hatte er. Groß und stark zu sein bedeutete aber nicht unbedingt, dass man auch so drauf war. Aber was verstand Alex schon davon?
Es war Flips Gesicht, Flips Körper. Aber es war jetzt auch
seiner.
Wenn ihn ein Kricketball traf, wenn Beagle ihn zwickte, dann registrierte Alex’ Gehirn den Schmerz.
In seinem Zimmer setzte er sich wieder an den Computer. Die Sache mit der E C-Karte hatte ihn auf einen Gedanken gebracht. Er ging auf Flips Mail-Account, dann auf »Hilfe« und klickte auf »Passwort vergessen?«.Drei Sicherheitsfragen: Postleitzahl, E-Mail -Adresse, Geburtsdatum. Die ersten beiden waren in Flips Planer vermerkt, die Antwort auf die dritte Frage kannte er bereits. Er tippte alles ein. Kurz darauf öffnete sich ein Dialogfenster, das ihn aufforderte, ein neues Passwort einzugeben. Er überlegte kurz, dann tippte er
ichbinalex
Sehr gut. Erledigt. Jetzt hatte er Zugang zu Flips privatem Mail-Account.
Keine der Mails im Eingangsordner war am Vorabend des Wechsels verfasst worden. Die meisten stammten von Flips beiden Freundinnen. Alex löschte sie, ohne darauf zu antworten. Eine Mail war von Flips Raucherkumpel Jack, der wissen wollte, ob Flip am Abend in den Skaterpark kam. Alles klar – Löschen. Der Rest war Spam. Alex öffnete die
Gesendet -
,
Papierkorb -
und
Archiv - Ordner
, aber aus den Tagen vor Flips letztem Abend als Flip fand sich dort nichts Ungewöhnliches. Auch die Einstellungen im Browser brachten nichts. »Favoriten« und »Verlauf« förderten das Übliche zutage: YouTube, Sport, Pornos, Musik, Spiele. Kein Hinweis darauf, dass Flip auf Facebook oder dergleichen angemeldet war.
Enttäuscht starrte Alex auf den Bildschirm. Er wusste selbst nicht, was er erwartet hatte, aber nachdem es ihm endlich gelungen war, Flips virtuellen Spind aufzubrechen, sah er seine neu erwachten Hoffnungen mit einem Schlag zunichte gemacht. Falls in Flips früherem Leben irgendetwas auf den bevorstehenden Wechsel hinwies, war es Flip jedenfalls nicht aufgefallen. So wie Alex keineVorwarnung erhalten hatte, dass er im Körper eines anderen Jungen aufwachen würde, so war auch Philip – der
innere
Philip – einfach über Nacht verschwunden.
Aber was war der Auslöser gewesen? Und was war aus
ihm
, aus Alex Gray, geworden?
Er wechselte von den Mails zum Internet und gab seinen eigenen Namen ins Suchfeld ein. Erst als seine Hand über der Maus schwebte, wurde ihm bewusst, was ihn womöglich Ungeheuerliches erwartete. Ihm wurde klar, dass er diesen Augenblick vor sich hergeschoben hatte. Er hatte alle Hoffnung auf David gesetzt, weil er von seinem Freund hören wollte, dass alles gut würde, und dass David ihm helfen würde, aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen, ganz gleich, um was für einen Schlamassel es sich
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