Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martyn Bedford
Vom Netzwerk:
war.
    Zwei Uhr morgens. An Schlaf war nicht mehr zu denken, außerdem hatte Alex zu viel Angst, dass der Albtraum weiterging, sobald er die Augen zumachte. Aber wach auf dem Bett zu liegen und an den Tod zu denken   –
seinen
Tod   –, war noch viel schlimmer.
    Am Morgen zerrte ihn das Quäken des Weckers wie einen Zombie aus dem Bett. Er erinnerte sich nicht mehr daran, dass er wieder eingeschlafen war, aber es war wohl so gewesen. Er stand auf und spulte seine morgendliche Routine mehr oder weniger auf Autopilot ab:duschen, Schulklamotten anziehen, nach unten gehen, Müsli essen, Saft trinken. Die Mutter war schon auf dem Sprung zur Arbeit und Mr Garamond schlief noch seinen Rausch vom Fachbereichstreffen aus. Auf dem Treppenabsatz wäre Alex beinahe in Teri hineingelaufen, die in eine Dampfwolke gehüllt aus dem Bad kam, mit nassen Haaren, geröteter Haut und einem grün-weiß gestreiften Handtuch, das sie wie einen Sarong um sich gewickelt hatte.
    »Du siehst grauenhaft aus«, sagte sie eher angewidert als besorgt. »Was ist mit deinem Gesicht passiert? Hat dir eine deiner Freundinnen was aufs Maul gegeben?«
    Alex betastete seine Lippe und staunte, dass sie lädiert war. »Ach ja. Kricket.«
    »Soll man den Ball nicht mit der Hand fangen?«
    Später würde ihm eine passende Erwiderung einfallen, aber gerade jetzt, gerädert vom fehlenden Schlaf, flatterten ihm die Worte wie torkelnde Motten im Kopf herum.
    Ich bin tot.
    Sollte er sich ihr anvertrauen?
Teri, die Sache ist die, ich bin nicht der, für den du mich hältst. Ich heiße Alex. Und ich bin tot.
Nein, das ging natürlich nicht. Weder ihr noch Flips Mutter konnte er so etwas erzählen, weder Miss Sprake noch Jack, Donna oder Billie, und auch dem Mädchen aus der Schule nicht, Cherry. Niemandem. Und auch niemandem bei sich zu Hause. Mum, Dad, Sam. David. David, der sich nicht mal die Mühe gemacht hatte, seine letzte Mail zu beantworten. Aber daswar jetzt auch schon egal. Alex war von ihnen allen abgeschnitten und musste sich ganz allein mit seinem Geheimnis herumschlagen.
    Er hatte gar nicht gemerkt, dass er Teri anglotzte, aber er musterte unwillkürlich ihre bloßen, mit Wassertropfen übersäten Schultern und die Ausbuchtung des Handtuchs über ihrem Busen.
    »Ich erklär’s dir kurz, Philip«, sagte sie. »Du hast zwei Schalter in deinem Hirn: Auf dem einen steht MÄDCHEN, auf dem anderen SCHWESTER.   Wenn ich dir hier im Haus praktisch nackt über den Weg laufe, muss der erste auf AUS stehen   – kannst du mir folgen?   – und der zweite auf AN.   Kriegst du das auf die Reihe?«
    Damit verschwand sie in ihrem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
     
    Alex ging nach unten und schnappte sich seinen Schlüssel und die Schultasche.
    Alles wäre ihm lieber gewesen, als noch einen Tag in der Litchbury High als Flip zu verbringen, aber genau darauf lief es unwillkürlich hinaus. Als er eben das Haus verlassen wollte, erblickte er die Brieftasche des Vaters auf dem Regal im Flur. Mr Garamond musste sie dort hingelegt haben, als er am Abend angetrunken nach Hause gekommen war.
    Alex blieb stehen. Betrachtete die Brieftasche. Spitzte die Ohren.
    Die Mutter war schon weg, und nach den Geräuschen zu urteilen, war Teri noch in ihrem Zimmer und föhntesich die Haare. Flips Vater war überhaupt noch nicht aufgetaucht.
    Alex nahm die Brieftasche und öffnete sie. Er holte das Bargeld heraus und zählte es. Dann tat er das Geld wieder zurück und machte die Börse wieder zu. Doch er stand immer noch da, den Blick auf die Brieftasche gerichtet. Lauschte wieder. Der Föhn. Beagle schnüffelte unten im Keller herum. Das Schlürfen und Plätschern der Spülmaschine. Sonst nichts. Alex öffnete die Brieftasche noch einmal, stopfte sich die Scheine in die Tasche, legte die Brieftasche wieder auf das Regal und verließ eilig das Haus, zog die Tür hinter sich zu und schloss sorgsam ab.
    Wen kümmerte jetzt noch Flips PI N-Nummer ?
    In einer Viertelstunde würde er im Regionalzug nach Leeds sitzen. Gegen Mittag würde er in King’s Cross ankommen. Und am frühen Nachmittag wäre er zu Hause.
    Allerdings hatte er keine Ahnung, wie er die Sache angehen sollte. Was sollte er zu wem sagen? Was würden sie von ihm halten? Seine Eltern. Würden sie ihn »erkennen«, so wie Beagle gespürt hatte, dass Flip nicht mehr der echte Flip war? Alex hatte mal eine Fernsehsendung über eine Schaffarm gesehen, wo man einem verwaisten Lamm das Fell eines anderen Lammes

Weitere Kostenlose Bücher