CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Vordertreppe wie ein abgefallenes Teil von einem Roboter. Alex hätte den Roller am liebsten aufgehoben und in den Hof geschoben, woer nicht geklaut werden konnte. Früher wäre es ihm so was von egal gewesen, ob Sams Roller geklaut wurde oder nicht. Jetzt nicht mehr. Nachdem er ein paar Tage Flip gewesen war, der jüngere Bruder von Teri … Lag es daran? Wie auch immer, der Gedanke, dass Sam ihn nicht erkennen würde, war fast so erschreckend wie die Vorstellung, dass Mum ihn wie einen Fremden ansah, wenn sie die Tür aufmachte.
9
»Mrs Gray?«
»Ja.«
»Guten Tag. Sie kennen mich nicht, aber ich bin … Philip. Ein Schulfreund von Alex.«
»Ach so. Hallo.«
»Tut mir leid, dass ich einfach so reinplatze.« Alex wartete darauf, dass sie sagen würde, das sei schon in Ordnung, aber das sagte sie nicht. Sie sagte gar nichts. Er hatte ganz vergessen, wie grün ihre Augen waren. »Ich … ich wollte nur über etwas … mit Ihnen sprechen.«
»Geht es um Alex?«
»Mhmm. Ja.«
»Aha. Na dann … komm rein. Dann komm am besten mit rein.«
Alex folgte ihr nach drinnen. Der Geruch traf ihn als Erstes. Als er noch hier gewohnt hatte, war ihm überhaupt nicht aufgefallen, dass das Haus einen eigenen Geruch hatte. Er hätte nicht sagen können, wonach es roch, aber sobald er über die Schwelle gegangen war, traf er ihn wie ein Schlag: der Geruch seines Elternhauses.
Wie immer stellte er seine Schultasche unter der Garderobe ab. Die Tasche war ausgebeult, weil er die Jackeund den Schlips der Litchbury High hineingestopft hatte.
Im Flur verhielt sich Mum irgendwie merkwürdig, als hätte sie schon vergessen, wer er war und warum er gekommen war. Sie riss sich zusammen, lächelte ihn flüchtig an und führte ihn ins Wohnzimmer. An der Tür hatte sie ähnlich geistesabwesend gewirkt. Verwirrt. Alex war es vorgekommen, als schaute sie ihn nicht an, sondern durch ihn hindurch, und wenn sie redete, war es so, als würde ihr jemand den Text einsagen. Nur als er »Alex« erwähnt hatte, hatte sie aufgehorcht, war beinahe zusammengezuckt.
»Das ist das Wohnzimmer«, sagte sie, als führte sie einen Kaufinteressenten durchs Haus.
Da saß Sam im Schneidersitz auf dem Boden, ganz dicht vor dem Fernseher, und spielte ein Videospiel. Autorennen. Im Dezember war er noch ganz verrückt auf ein
Tomb
Raider
-ähnliches Spiel gewesen. Obwohl er mit dem Rücken zu ihm saß, machte Alex der Anblick seines kleinen Bruders schwer zu schaffen. Das kurz geschorene rötliche Haar, der vorstehende Knubbel seines obersten Rückenwirbels, der ihm immer so peinlich war, genauso die abstehenden Ohren. Sam hatte inzwischen Geburtstag gehabt, fiel Alex ein; er war jetzt schon elf, nach den Sommerferien würde er auf die Crokeham Hill High gehen. Sein kleiner Bruder, der ohne ihn aufwuchs.
»Sam«, sagte Mum, »einer von Alex’ Freunden ist da.«
»Mhmm.«
Kein
Hallo,
er schaute sich nicht mal um. Nur sein Ellbogen ruckte hin und her, als sein Auto mit kreischenden Reifen durch eine Schikane raste. Bei einem von Sams Kindergeburtstagen – es musste der fünfte oder sechste Geburtstag gewesen sein – hatte ihn der Luftballonmann (Onkel Pete) gefragt, was er werden wollte, wenn er groß sei. »Ein Jedi-Ritter«, hatte Sam todernst geantwortet. Alex und Sam waren grundverschieden, aber sie waren trotzdem Brüder, und Alex sehnte sich danach, dass Sam sich umdrehte. Ihn anschaute. Einfach nur, damit er Sams sommersprossiges Gesicht wiedersehen konnte.
»
Sam «
, mahnte ihre Mutter. »Sag Guten Tag.«
Sam antwortete mit monotoner Roboterstimme und ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen: »Guten Tag, Freund von Alex.«
Mum sah Alex entschuldigend an. »Wir gehen lieber in die Küche.«
Sie tat Tee in die rot-weiß gestreifte Kanne mit dem angeschlagenen Deckel. Wahrscheinlich war sie einfach froh, dass sie etwas zu tun hatte, denn Alex hatte gesagt, ihm genüge ein Wasser. Mum trug ein hellgrünes Oberteil, das er noch gut kannte, und den ausgefransten Jeansrock, der so ausgebleicht war, dass er fast weiß aussah. Ihre rotblonden Haare waren wie immer kinnlang. Normalerweise trug sie beige, an den Fersen heruntergetretene Mokassins, aber heute war sie barfuß. Diese Veränderung machte Alex ganz fertig. Sie sah älter aus. Nicht nur ein halbes Jahr älter. Müde. In sich zusammengesunken.Sie war dünner, als er sie in Erinnerung hatte, fast mager, aber noch auffälliger war, dass sie trotz ihrer Geschäftigkeit
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