CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
selbstständig, produziert und verkauft Möbel aus Kiefernholz. Sie arbeitet Teilzeit als Rechtsanwaltsgehilfin. Sie haben zwei Töchter, beide studieren.«
»Ich wusste gar nicht, dass du …«
»Sie hatten auch einen Sohn. Aber der wurde erstochen, als er mit seiner Freundin ausging, um gemeinsam ihr Abi zu feiern. Das ist jetzt vier Jahre her und sieh sie dir an.« Rob zeigte in die Richtung der beiden. Der Mann spritzte wieder den Wagen ab, die Frau war zum Zaun gegangen, wo sie mit der Nachbarin redete. »Sie waschen ihr Auto. Trinken Tee. Quatschen mit den Nachbarn. Gleich gehen sie rein und essen Mittag. Es gibt Braten. Dann setzt sich Bill in seinen Sessel und löst das Kreuzworträtsel im
Observer
und Jane guckt im Fernsehen einen alten Film an, mailt ihrer Schwester in Kanada oder liest einen Roman für ihren Literaturkreis.«
Alex ließ ihn ausreden.
»Sie machen einfach weiter, Alex.« Rob drehte sich zuihm um. »Sie leben ihr Leben, ohne ihren Sohn. Der ist tot. Nicht mehr da.« Seine Knöchel waren ganz weiß, so fest umklammerte er das Lenkrad. »Das, was Chris’ Körper in jener Nacht verlassen und sich in Rob niedergelassen hat … das ist nicht Chris. Das ist nicht ihr Sohn. Es ist etwas …
jemand
anderes.«
Sonst war Rob immer so cool und locker, deshalb wunderte sich Alex über diese plötzliche Heftigkeit. Rob war offenbar wütend, wobei diese Wut umso verstörender war, weil sie so beherrscht war – sie beschränkte sich auf Worte, die ausgestoßen wurden wie Nägel aus einer Nagelpistole. Rob wurde nicht einmal laut dabei. Hätte Alex nicht schon vorher Angst vor ihm gehabt, als er noch der komische Typ mit der Lederjacke gewesen war, so fürchtete er sich spätestens jetzt vor ihm, obwohl sie inzwischen Freunde waren.
»Warum hasst du die beiden so?«, fragte Alex nach einer kurzen Pause.
Die Frage schien Robs Anspannung zu lösen. Er ließ das Lenkrad los und sank in den Sitz. »Ich hasse sie nicht«, sagte er leise. »Ich hasse das, was ich für sie geworden bin.«
Inzwischen waren Chris’ Eltern ins Haus gegangen. Der Passat stand blitzend in der Auffahrt. Alex fiel auf, dass der Mann seine Tasse auf dem Treppenabsatz vor der Haustür stehen lassen hatte.
»Ein paar Meilen von hier ist eine Kneipe.« Rob schnipste den Zigarettenstummel aus dem Fenster. »Wenn du Lust hast, können wir hinfahren. Ist ganz nettda. Biergarten, gutes Essen. Am Wochenende arbeitet da ein Mädchen. Zweiundzwanzig. Attraktiv. Sie jobbt dort nur, verdient sich was dazu, während sie ihren Uni-Abschluss macht, aber sie muss richtig ran. Draußen zwischen den Tischen rumrennen, Geschirr einsammeln, Bestellungen aufnehmen, Essen und Getränke rausbringen. Sie ist freundlich. Lächelt immer. Die Kunden mögen sie.« Rob zündete sich die nächste Zigarette an, sog den Rauch tief ein und stieß ihn wieder aus. »Wenn ihre Schicht um ist, holt sie ihr Freund mit seinem kleinen blauen Peugeot ab. Sie steigt ein, umarmt und küsst ihn – ich weiß nicht, wie lange die beiden schon zusammen sind, aber sie wohnen zusammen, und es ist nicht zu übersehen, dass sie verliebt sind. Man sieht’s an den Blicken und wie sie sich anfassen.« Er sah Alex ins Gesicht. »Was meinst du? Wollen wir in die Kneipe gehen und uns die beiden anschauen? Oder wollen wir gegenüber von ihrer Wohnung parken und warten, bis sie nach Hause kommen?«
Alex erwiderte nichts. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Rob griff in die Hosentasche, zog sein Portemonnaie heraus und klappte es auf. »Das ist sie.« Er zeigte Alex das Foto, das Alex schon einmal kurz gesehen hatte, nämlich in der Frittenbude auf der Rückfahrt von Scarborough. »Sie heißt Lisa. Das Bild hier habe ich mit Teleobjektiv aufgenommen, aber das sieht man kaum.«
»Du hast mal gesagt, das ist das Mädchen, das du zurückgelassen hast.« Alex gab sich Mühe, mit festerStimme zu sprechen. »Ich dachte, du meintest in Neuseeland.«
»Ich habe sie ja auch zurückgelassen. In jener Nacht in Manchester, in dem Notarztwagen, als ich verblutet bin. Sie hat meine Hand gehalten, sie war mit meinem Blut vollgespritzt. Sie hat herzzerreißend geweint. Der Sanitäter hat sein Bestes getan, aber seine Körpersprache hat ihr die Wahrheit verraten. ›Halt durch, Chris‹, hat sie gesagt. ›Ich liebe dich so. Bitte, bleib bei mir.‹« Rob klappte die Brieftasche zu und steckte sie weg. »Aber ich bin nicht bei ihr geblieben.«
Rob stieg aus und ging um den
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