Crash: Thriller (German Edition)
überleben, ohne etwas zu essen. Diese Tatsache hatte er in der Concise Scientific Encyclopedia gelesen, ein Buch, das David Swifts Frau Monique Reynolds ihm zum neunzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Michael geriet durcheinander, wenn Leute übertrieben; er dachte oft, sie würden die Wahrheit sagen, wenn sie in Wirklichkeit eine Lüge erzählten, die lustig sein sollte. Deshalb hatte er es nützlich gefunden, die wissenschaftliche Enzyklopädie auswendig zu lernen, die Tatsachen über eine große Vielfalt von Themen enthielt.
»Ich komme nicht um vor Hunger«, sagte er zu Tamara. Aber er war tatsächlich hungrig. Und durstig war er auch. Ein Mensch konnte nur drei bis sieben Tage ohne Wasser überleben.
»Ich weiß, dass du Angst hast«, sagte Tamara. »Es war eine sehr lange Reise in dem Flugzeug. Und jetzt bist du an einem Ort, den du nicht kennst. Aber du musst ein bisschen essen.«
Michael schaute wieder die Tüte mit den Kartoffelchips an. Er wusste, dass es nicht richtig wäre, sie zu essen. Er hatte keine der guten Sachen getan, die auf der Liste standen, die David Swift geschrieben hatte, und deshalb hatte er die Belohnung wirklich nicht verdient. Aber er vermutete, dass die üblichen Regeln nicht galten, wenn Tamara den Imbiss zusammengestellt hatte und nicht David. Und selbst wenn sie seine Feindin war, dachte er sich, dass es in Ordnung wäre, ihre Kartoffelchips zu essen. Sie würden ihn stark machen, sodass er sie besser bekämpfen konnte.
Er ging zu dem Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl. Er war so hungrig, dass seine Hände zitterten, als er eines der Ketchup-Päckchen öffnete. Er nahm einen Kartoffelchip aus der Tüte und betupfte ihn mit zwei Tropfen Ketchup, von denen jeder die Größe eines Zehn-Cent-Stücks hatte. Dann steckte er ihn in den Mund und bereitete schnell noch einen vor. Er stöhnte beim Kauen.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Tamara näher kam. Sie brach ihr Versprechen, weit weg von ihm zu bleiben, aber er war zu sehr damit beschäftigt zu essen, um zu protestieren.
»Mensch, mach langsamer!«, sagte sie. »Sonst erstickst du noch.«
Sie stieß ein paar hohe Jaultöne aus. Michael dachte zuerst, es wären Schmerzensschreie, aber dann begriff er, dass Tamara lachte. Er hatte keine Ahnung, warum, und es war ihm egal. Er drückte auf zwei weitere Kartoffelchips Ketchup und steckte beide zur gleichen Zeit in den Mund. Er kaute schnell und zerdrückte die Chips zu einem feuchten teigähnlichen Klumpen. Dann benutzte er seine Backenzähne, um den Klumpen zu zerteilen, und begann die Stücke zu schlucken.
Tamara bewegte sich weiter auf ihn zu, bis sie nur noch zwei Fuß entfernt war. »Das ist besser, nicht wahr?«, sagte sie. »Du siehst jetzt glücklich aus. Sehr glücklich.«
Michael vermied es, sie anzusehen. Er hielt die Augen auf das Tablett gerichtet und steckte sich noch einen Chip in den Mund. Dann griff er nach der Spritedose und nahm einen großen Schluck.
»Du hast so ein interessantes Gesicht«, sagte sie. »Dein Großvater war aus Indien, nicht wahr? Ich wette, deshalb hast du so schöne schwarze Haare.«
Sie streckte die Hand aus und berührte ihn seitlich am Kopf. Er fühlte, wie die bandagierten Finger ihrer linken Hand durch sein Haar fuhren, unmittelbar über seinem rechten Ohr. Michael hörte auf zu kauen. Sie hatte gerade ein weiteres Versprechen gebrochen. Er saß mehrere Sekunden bewegungslos da. Der feuchte Klumpen lag ihm schwer auf der Zunge. Er zwang sich dazu, ihn hinunterzuschlucken.
»Ich weiß, dass dein Leben nicht sehr glücklich verlaufen ist, Michael. Bruder Cyrus hat mir von all den Schmerzen und den traurigen Dingen erzählt, die du durchgemacht hast. Zum Beispiel das, was vor zwei Jahren mit deinem Großvater passiert ist. Und mit deiner armen Mutter Elizabeth. Du musst sie sehr vermissen.«
Er wollte nicht über seine Mutter reden. Er griff wieder in die Tüte Kartoffelchips und holte eine Handvoll heraus.
»Cyrus hat mir erzählt, dass sie rauschgiftsüchtig gewesen ist. Und eine Prostituierte. Und dass du bis zu deinem dreizehnten Lebensjahr mit ihr zusammengelebt hast.« Sie ließ ihre Hand tiefer gleiten. Ihre Bandagen kratzten ihn am Hals. »Dann hat dein Großvater dich von ihr weggeholt. Was vermutlich richtig war. Aber es muss sehr schwierig gewesen sein.«
Michaels Hände zitterten wieder. Er schaffte es noch, ein weiteres Ketchup-Päckchen aufzureißen, aber er quetschte es zu stark aus. Ketchup spritzte auf das
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